Address:
Kosmos 63S1 

Trägerrakete

Nach den ersten erfolgreichen Sputnik Starts wurde 1959 in der Sowjetunion der Bedarf nach einer leichten Trägerrakete deutlich, die sich zum Start kleiner Forschungssatelliten oder militärischer Nutzlasten eignete. Mit der R-​12  (Erzeugnis 8K63) fand sich ein geeignetes (militärisches) Ausgangsmodell im Inventar der Streitkräfte. Diese erste in großer Stückzahl produzierte und stationierte sowjetische Mittelstreckenrakete ging auf einen Entwurf aus dem Forschungsinstitut NII-​88  zurück. Unter Leitung von Dominik D. Sewruk hatte das dortige OKB-​3  ein leistungsfähiges Triebwerk mit hochsiedenden Treibstoffkomponenten (Kerosin und Salpetersäure) entwickelt. Zwar wurde der R-​12  Entwurf so nicht umgesetzt. Doch nach einer Prüfung durch das OKB-​1  von Sergej P. Koroljow konnte das dort überarbeitete Projekt an das Werk No. 586 (heute JuschMasch) in Dnepropetrowsk übergeben werden. Die Rakete verfügte nun über ein Vierkammertriebwerk RD-​214  mit regelbarem Schub aus dem OKB-​456  von Valentin P. Gluschko, das auf dem Einkammertriebwerk Sewruks basierte. Die weitere konstruktive Auslegung lag zunächst in den Händen von Chefkonstruktuer Wassili S. Budnik. 1954 löste ihn Michail K. Jangel ab. Die Zelle der Erststufe wurde überwiegend aus einer AlMg-​Legierung gefertigt, die Baugruppen verschweißt. Im mit Stringern versteiften Heck wurde das Triebwerk starr montiert. Zur Steuerung waren vier Graphit-​Strahlruder im Abgasstrahl vorgesehen. Die vier Brennkammern des Triebwerks wurden von einer gemeinsamen Turbopumpe mit den Treibstoffkomponenten versorgt. In einem Toroidtank war 80 %iges Wasserstoffperoxid untergebracht (HO), das, katalytisch zersetzt, den Dampf zum Antrieb der Turbopumpe lieferte. Zur Zündung wurde TG-​02 , das russische Äquivalent zum deutschen Tonka-​250 , eingespritzt. Zum Einbau des Triebwerks war das Heck der Rakete konisch aufgeweitet worden, was zusammen mit vier aerodynamischen Leitflächen zudem der Stabilisierung im Flug diente. Das RD-​214  Triebwerk selbst wurde im Permer Motorenwerk No. 19 zur Serienreife entwickelt und produziert.
Als Jangels Konstruktionsbüro den Auftrag erhielt, die R-​12  zu einem Satellitenträger weiterzuentwickeln, bedurfte es dazu einer Hochleistungsoberstufe. Um die geforderten Parameter zu erreichen, mußte diese extrem leichtgewichtig gestaltet werden, was u.a. durch den umfassenden Einsatz von Titan erreicht werden konnte. In Kombination mit dem RD-​119  Triebwerk aus dem OKB-​456  konnte das Ziel erreicht werden. Dieses Triebwerk war die Weiterentwicklung des von Gluschko für die dritte Stufe der Wostok 8K72 Trägerrakete entwickelten, von Koroljow aber wegen der Verwendung des giftigen Treibstoffs UDMH abgelehnten, RD-​109 . Mit einem Entspannungsverhältnis von 1:1350 erreichte das RD-​119  eine beeindruckende Leistung. Vor allem der spezifische Impuls war herausragend und vermochte, zusammen mit dem in einem weiten Bereich regelbaren Schub, die Defizite der Erststufe weitgehend auszugleichen. Die Turbopumpe des RD-​119  wurde von katalytisch zersetztem UDMH angetrieben und nicht, wie sonst üblich, vom Oxidator. Nach dem Durchlaufen der Turbopumpe wurde der Gasstrom zu einem System von vier festen Steuerdüsen umgeleitet, welche die gasdynamische Schubvektorsteuerung zur Lenkung der Oberstufe sicherstellten. Trotz vieler innovativer Lösungen konnten einige grundlegende Limitierungen der neuen Rakete nicht überwunden werden. Um das Oberstufentriebwerk noch vor dem Brennschluß der Erststufe zünden zu können und so die schwierige Triebwerkszündung im Vakuum zu umgehen, wurden die beiden Stufen durch eine offene Gitterstruktur miteinander verbunden. Allerdings bedeutete das auch, daß auf die sonst gerade bei zweistufigen Raketen übliche antriebslose Freiflugphase nach Brennschluß der Erststufe verzichtet werden mußte. Das reduzierte die Nutzlastkapazität und führte zudem zu deutlich elliptischen Bahnen mit teils sehr niedrigen Perigäen.
Im April 1960 waren die Entwurfsarbeiten für die neue Rakete abgeschlossen und bereits Anfang August 1960 wurde das OKB-​586  mit dem Bau von zunächst 10 Versuchsraketen 63S1 zum Start kleiner Satelliten beauftragt.
Die ersten Versionen der militärischen 8K63 Rakete waren als mobiles System konzipiert worden. Zum Start wurden sie unter Feldbedingungen mit einem Kran auf einem mitgeführten Starttisch aufgerichtet, betankt und gestartet. Der Satellitenträger 63S1 konnte dagegen auf dem Startkomplex nicht mehr so einfach aufgestellt werden. Die nunmehr mit Oberstufe über 30 m lange Rakete war zu windempfindlich. Einen Ausweg bot der Start aus einem Silo, wie er bereits für die Variante 8K63U der R-​12  erprobt worden war. Die Zweitstufe mit der Nutzlast wurde unter einem mobilen Wetterschutz auf die Grundstufe der Rakete in ihrem Silo aufgesetzt. Erst kurz vor dem Start wurde diese Konstruktion beiseite gerollt.
Für die ersten Starts wurde die Schachtstartanlage „Majak” in Kapustin Jar wiederhergestellt und entsprechend modifiziert. Die ersten beiden Starts scheiterten aus unterschiedlichen Gründen, doch der dritte am 16.03.1962 gelang. Bis 1967 folgten weitere Missionen aus diesem und dem ähnlichen 8P763P Silo auf Platz 86 in Kapustin Jar.
Noch während der Einsatzzeit der ersten Variante der Kosmos Rakete (Erzeugnis 63S1) wurde diese zum Modell 63SM/63S1M bzw. 11K63 weiterentwickelt. Worin konkret die Verbesserungen bestanden, ist nicht bekannt. In der Literatur finden sich aber Hinweise auf eine höhere Tankkapazität und einen geringfügig gesteigerten Schub. Vor allem aber basierte die neue Variante auf der R-​12U (8K63U), die als universelles Modell sowohl für den Silo– als auch für den bodenbasierten Start ausgelegt war. Und so starteten diese Raketen bis auf wenige Ausnahmen nicht mehr aus den Silos von Kapustin Jar, sondern überwiegend von einem neuen überirdischen Startkomplex in Plesetsk.


Gesamtsystem
Nation Sowjetunion 
Bezeichnung(en) Kosmos 63S1  
Entwicklungszeitraum 1959 – 1961 
erster Start 27.10.1961 (Fehlstart) 
Einsatzzeitraum 1961–1966  
Stufenzahl
Gesamthöhe um 30 m 
Basisdurchmesser 1,65 m 
max. Nutzmasse
Leermasse
Treibstoffmasse
Startmasse ca. 49.400 kg 
Startschub 627 kN 
1. Stufe
Hersteller
Bezeichnung(en)
Länge
Durchmesser 1,65 m 
Leermasse
Treibstoffmasse
Gesamtmasse
Antrieb 1 Vierkammer-​Flüssigkeitstriebwerk RD-​214 (Erzeugnis 8D59
Treibstoff AK-​27I + TM-​185  
Startschub 627 kN 
spezifischer Impuls (Seehöhe) 227 s 
Brenndauer 140 s 
2. Stufe
Hersteller
Bezeichnung(en)
Länge ca. 8,5 m 
Durchmesser 1,65 m 
Leermasse
Treibstoffmasse
Gesamtmasse
Antrieb 1 Flüssigkeitstriebwerk RD-​119 (Erzeugnis 8D710
Treibstoff UDMH + Flüssigsauerstoff 
Vakuumschub 106 kN 
spezifischer Impuls (Vakuum) 352 s 
Brenndauer 260 s 
Nutzlastverkleidung
Länge
max. Durchmesser 1,65 m 

Die in der Literatur angegeben Daten für die Kosmos 63S1 Rakete sind widersprüchlich und unpräzise. Als wichtigste Quellen wurden die nachfolgenden Werke herangezogen.

Quellen:

[1] КБ ЮЖНОЕ: РАКЕТЫ И КОСМИЧЕСКИЕ АППАРАТЫ КОНСТРУКТОРСКОЕ БЮРОЮЖНОЕ“, 2000 
[2] KARPENKO, POPOW, SOLOMONOW, UTKIN: SOWJETISCH-​RUSSISCHE STRATEGISCHE RAKETENKOMPLEXE, 2006