Das unerhörte internationale Aufsehen, das die Starts der ersten künstlichen Erdsatelliten durch die Sowjetunion und die USA ausgelöst hatten, rief umgehend auch andere Nationen auf den Plan. Vor allem in den ehemaligen Kolonialmächten Großbritannien und Frankreich wuchs der Druck, als Zeichen der nationalen Größe ebenfalls in den Kreis der Raumfahrtnationen aufzusteigen. Zwar unterbreiteten die USA nicht ganz uneigennützig befreundeten Nationen den Vorschlag, ihre Forschungssatelliten mit der Scout Rakete der NASA ins All zu transportieren. Doch versprach der Start eines Satelliten mit einer eigenentwickelten Trägerrakete einen weitaus größeren Prestigegewinn. Wie einige Jahre später in Asien zwischen Japan und China entwickelte sich in Europa Mitte der 1960er Jahre ein Wettlauf zwischen Frankreich und Großbritannien darum, wer als nächste Raumfahrtnation in die Annalen eingehen sollte. Am 26.11.1965 war die Frage entschieden, als Frankreich seinen „Asterix“ Satelliten im Erdorbit hatte. Dabei hatte Großbritannien vermeintlich alle Trümpfe in der Hand gehabt, um das Rennen für sich zu entscheiden…
Bei Kriegsende 1945 lieferten sich die beiden Siegermächte USA und Sowjetunion einen Wettlauf um das technologische know-how Deutschlands und die Wissenschaftler und Ingenieure, die dahinter standen. Insbesondere was die deutsche Raketenentwicklung betraf, waren die USA dabei klar im Vorteil. Zunächst besetzten ihre Truppen als erste die Hauptfertigungsstätten des Aggregat-4 in Thüringen und transportierten von dort Unmengen an halbfertigen Raketen, Baugruppen und Unterlagen ab. Dann lief der Kern der Raketenexperten um Wernher von Braun zu ihnen über. Material und Menschen wurden in die USA verschifft und bildeten den Grundstein für eine Vielzahl der militärischen und zivilen Raketenprojekte zwischen den 1940er und 1960er Jahren. Der Sowjetunion fielen hingegen die, teilweise geplünderten, Produktionsstätten und eine Reihe Ingenieure und Techniker anderer Teams in die Hände. Bald schon wurden der Bau und die Erprobung der Raketen(-baugruppen) in Deutschland wieder aufgenommen. Später wurde ein Großteil der Experten unter Zwang in die Sowjetunion verschickt, dort aber nur wenig in die tatsächlich praxisrelevante Entwicklung kommender Raketensysteme involviert. Lediglich an den ersten Schritten zur Weiterentwicklung des A-4 waren sie noch beteiligt. Frankreich erhielt kaum Zugriff auf die Ergebnisse zur deutschen Großraketenentwicklung. Immerhin konnten einige Experten anderer Raketenprogramme für eine Zusammenarbeit gewonnen werden. Doch ausgerechnet Großbritannien war es, das nach dem Kriegsende die ersten Großraketenstarts unternahm. Seit dem Sommer liefen im Rahmen der „Operation Backfire“ die Vorbereitungen zum Abschuß mehrerer A-4 zu Testzwecken. Die Briten, die im Krieg besonders unter der V-Waffen Angriffen gelitten hatten, waren sich der Bedeutung der neuen Raketenwaffen bewußt. Im Gegensatz zu den USA oder der Sowjetunion existierte in Großbritannien aber zu jener Zeit keine nennenswerte Raketenforschung. Daher ergriff man die Gelegenheit, sich mit der Handhabung des Aggregat-4 vertraut zu machen. Es erwies sich aber als schwierig, den Plan umzusetzen. Denn man verfügte nur über Baugruppen der Rakete und nicht über einsatzfähige Projektile. Unter enormen Mühen wurden die fehlenden Teile beschafft oder nachproduziert. Rund 200 deutsche Raketenwissenschaftler und ebensoviele Soldaten der ehemaligen Einsatzverbände wurden im „Versuchskommando Altenwalde“ bei Cuxhaven zusammengezogen. Schließlich konnten acht Raketen einsatzbereit gemacht werden. Drei von ihnen wurden im Oktober 1945 verschossen. Zu einer Fortführung der Erprobung kam es aber nicht. Doch wurden 400 Eisenbahnwaggons und viele Tonnen Luftfracht mit Materialien aus dem deutschen Raketenprogramm nach Großbritannien verbracht. In den Jahren danach ließ das Interesse an einer eigenen Raketenentwicklung aber spürbar nach. Lediglich Hilfsantriebe für Flugzeuge oder Triebwerke für Waffen mit Raketenantrieb entstanden. Als die Großraketenentwicklung Anfang der 1950er Jahre wieder aufgenommen wurde, hatte Frankreich, das bei Kriegsende auf diesem Gebiet gegenüber den anderen Alliierten ins Hintertreffen geraten war, in Europa bereits die Führung übernommen. Dabei hatte Frankreich 1945 als einzige der Siegermächte praktisch keinen Zugriff auf die deutschen Ressourcen der Raketenforschung gehabt. In der französischen Besatzungszone lagen nur wenige Produktionsstätten und Forschungseinrichtungen mit Bezug zum V-Waffen Programm. Und die Mehrzahl der Experten befand sich unter Kontrolle sowjetischer bzw. amerikanischer Spezialeinheiten. Als Glücksfall erwies sich in dieser Situation die britische Entscheidung, nach dem Ende der „Operation Backfire“ vornehmlich Unterlagen und Material nach Großbritannien zu überführen, auf die Hilfe deutscher Experten aber weitgehend zu verzichten. Von diesen nun arbeitslosen Ingenieuren und Technikern konnten einige für eine Kooperation gewonnen werden. Unter Kommando von General Paul Libessart wurde in Vernon das Laboratoire de recherches balistiques et aéro-dynamiques (LRBA) eingerichtet. Offiziell nahm dieses am 17.05.1946 seinen Betrieb auf. Die ersten Deutschen arbeiteten dort zunächst unter primitivsten Bedingungen. Doch bald schon entstand für die zunehmende Zahl der Experten und ihre Familien eine kleine Wohnstadt nahe Vernon. Mit vergleichsweise guter Bezahlung hofften die Franzosen den Willen zur Zusammenarbeit zu fördern. Bald schon stieg die Zahl der deutschen Experten auf 120 bis 150 an. Unter ihnen befanden sich auch einige Wissenschaftler und Techniker, die durch ihre unheilvolle Nähe zum Naziregime aufgefallen waren. Doch Frankreich leistete sich im Wettstreit mit den anderen Alliierten ebensowenig wie diese den Luxus, auf das Wissen von Kriegsverbrechern zu verzichten, wenn diese den eigenen nationalen Interessen dienlich sein konnten.
In den Jahren 1946/47 war der französische Kurs der Raketenentwicklung umstritten. Sollte man die Weiterentwicklung der V-2 betreiben? Oder war es sinnvoller, mit deutscher Hilfe eine komplette Neuentwicklung zu beginnen und eine eigene Basis aufzubauen? 1948 wurden das Projekt der Super V-2 (Projekt 4212) eingestellt und die Weichen für einen Neubeginn gestellt. Zu dieser Entscheidung trug die Tatsache bei, daß es den Franzosen nicht gelungen war, alle Schlüsselkomponenten für einen Nachbau des Aggregat-4 zu beschaffen. Wollte man die fehlenden Baugruppen aber selbst fertigen, würden einige Jahre bis zur Aufnahme der Produktion vergehen. Dann wäre das Design der deutschen Rakete aber hoffnungslos veraltet. Im Vergleich zum Aggregat-4 waren die französischen Anfänge also eher bescheiden. Erstes Ergebnis der Forschungen waren die PARCA Boden-Luft-Rakete (Projectile Autopropulsé Radioguidé Contre Avion), gefolgt von der Forschungsrakete Véronique (ab 1949). Für letztere wurde ein neues Triebwerk entwickelt, das die europäische Raumfahrt nachhaltig beeinflussen sollte. Am 31.07.1950 startete das erste Versuchsmuster Véronique R1. Das mit Terpentin und Salpetersäure betriebene Triebwerk der Véronique lieferte anfangs ca. 4 Tonnen Schub. Doch seine Konstruktion bildete den Ausgangspunkt immer leistungsfähigerer Antriebe, die in den 1970er Jahren im Viking Triebwerk der Ariane ihren Höhepunkt finden sollten. 1952 liefen die Verträge für die meisten der deutschen Experten aus und sie kehrten mehrheitlich in ihre Heimat zurück. Eine kleine Gruppe blieb aber in Frankreich und forschte dort weiter. Viele von ihnen erhielten später auch die französische Staatsbürgerschaft.
Im August 1959 traf Frankreich die Entscheidung, eine eigene nukleare Abschreckungsstreitmacht („Force de frappe“) aufzustellen, basierend u.a. auf in unterirdischen Silos und an Bord von Atom U-Booten stationierten Raketen. Deren Entwicklung ging man sehr systematisch an, wozu die „Edelstein“ Serie („Pierres précieuses“) von Technologieträgern aufgelegt wurde. Wie in anderen Ländern auch, beförderten diese militärischen Programme den Wunsch nach einem nationalen Raumfahrtprogramm. Am 23.12.1960 reichte die SEREB offiziell eine Studie ein, laut der eine dreistufige Rakete auf Basis der Testrakete Saphir in der Lage war, einen bis zu 50 kg schweren Satelliten auf einen Orbit zu befördern. Der Vorschlag stieß auf Zustimmung. Und so beschloß am 18.12.1961 das Comité des Recherches Spatiales (CRS), die Entwicklung dieser Rakete zu autorisieren. Als Höhepunkt der „Edelstein“ Serie konzipiert, erhielt das Projekt schon fast zwangsläufig den Namen Diamant. Die Verantwortung für das Programm übernahm das mit Wirkung vom 19.12.1961 ins Leben gerufene Centre national d’études spatiales. Das CNES übertrug die Entwicklungsleitung der Délégation Ministérielle pour l’Armement, einer Organisation, die auch andere Rüstungsprojekte koordinierte. Die DMA legte die Entwicklungsleitung wiederum in die Hände der Société d’études et de réalisation d’engins balistiques (SEREB). Tatsächlich wurde das Projekt also weiterhin vom Militär getragen, unmittelbar verantwortlich war der französische Armeeminister Pierre Messmer. Zunächst 54 Mio. Franc wurden für das Projekt bereitgestellt. Während die Saphir modifiziert wurde, um eine dritte Stufe aufzunehmen, entstand mit der Rubin eine neue Rakete zur Erprobung des Aussetzmechanismus der Nutzlast und des Abwurfs der aerodynamischen Verkleidung.
Als Erprobungsträger für die französische Mittelstreckenrakete SSBS S1 (Sol-Sol-Balistique-Stratégique) stand 1965 die einstufige VE-121 Emeraude zur Verfügung. Die ersten drei Starts 1964 scheiterten, was, wie die Analyse zeigte, auf den POGO Effekt zurückzuführen war. Daraufhin wurden konstruktive Veränderungen vorgenommen und am 27.02. und 13.05.1965 gelangen die nächsten Starts. Damit war der Weg frei zur Überleitung von der VE-121 Emeraude mit ihrer inerten Zweitstufe zur VE-231 Saphir. Diese übernahm die Erststufe mit dem „Vexin“ Flüssigkeitstriebwerk und kombinierte sie mit dem Feststofftreibsatz der VE-111 L Topaze. Deren Erprobung hatte u.a. der Qualifikation des NA802 bzw. NA803 „Soleil“ Feststofftreibsatzes und der Entwicklung eines Inertiallenksystems gedient. Die bisherige Nutzlast mußte für das Diamant Programm durch eine dritte Raketenstufe ersetzt werden. Diese verbrannte ebenfalls ein Isolane Treibstoffgemisch. Vier kleine Feststofftreibsätze konnten sie zur Stabilisierung in eine Rotation mit 180 min–1 versetzen. Im Stufenadapter zwischen Zweit– und Drittstufe war zudem ein Rollkontrollsystem auf Basis von Stickstoffdruckgas untergebracht. Zur Erprobung der Rollstabilisierung der Drittstufe und des Abwurfs der Nutzlastverkleidung war die VE-210 Rubis Rakete entwickelt worden (basierend auf dem Antrieb der VE-110 Agate), mit der zwischen Juni 1964 und Juni 1965 sechs Starts (vier davon erfolgreich) unternommen wurden. Obwohl die letzten Tests der Komponenten für die Diamant Rakete erst im Sommer 1965 abgeschlossen waren, schritten die Arbeiten so gut voran, daß deren erster Start für den Herbst 1965 ins Auge gefaßt werden konnte.
Problematisch war die Wahl des Startgeländes. Frankreich nutzte schon seit vielen Jahren die algerische Wüste für seine Waffentests. In Hammaguir existierte eine gut ausgebaute Basis für Raketentests. Doch mit den Verträgen von Évian (18.03.1962) mußte Frankreich seiner Kolonie Algerien die Unabhängigkeit zusichern. Für das Centre Interarmées d’Essais d’Engins Speciaux wurde eine Übergangsregelung vereinbart, die Frankreich für weitere 5 Jahre die Nutzungsrechte gewährte. Damit war der Zeitrahmen für die erste Phase des nationalen Satellitenprojekts gesetzt, denn bis zur Errichtung eines neuen Testgeländes würden einige Jahre vergehen.
Kontrovers wurde der Termin für den ersten Startversuch eines französischen Satelliten diskutiert. Denn dieser fiel unmittelbar in den Wahlkampf um das französische Präsidentenamt. Minister Messmer fürchtete, daß ein Mißerfolg dem Ansehen Charles de Gaulles schaden könnte, dessen Name eng mit der „Force de frappe“ und dem Raketenprogramm verbunden war. Schließlich übernahm der Minister aber die volle Verantwortung für den Erfolg oder Mißerfolg des Diamant Programms und gab seine Zustimmung zu einem Startversuch, als ihm seine Experten versicherten, die Erfolgsaussichten lägen bei 9 zu 1. Mehrere Dutzend Teststarts mit unterschiedlichen Raketen der Pierres Précieuses Reihe waren bis dahin unternommen worden.
Als Nutzlast für den ersten Start wurde eine simple technologische Nutzlast entwickelt. Sie trug zunächst die Bezeichnung A-1, bevor sie später den Namen „Asterix“ erhielt, benannt nach der beliebten Titelfigur der gleichnamigen Comics von René Goscinny und Albert Uderzo. Die batteriebetriebenen Sender des Satelliten sollten eine präzise Bahnverfolgung erleichtern und so helfen, die berechneten Leistungscharakteristika der Rakete und die Präzision der Aufstiegsbahn zu verifizieren.
Trotz der demonstrativ großen Zuversicht der Experten waren am 26.11.1965, dem Tag des ersten Startversuchs, keine Journalisten in Hammaguir zugelassen. Lediglich der Pressedienst der Armee dokumentierte das Ereignis. Bemerkenswert für den Erststart einer neuen Rakete, lief der Countdown der Diamant A Rakete nahezu ereignislos durch. Pünktlich hob die Rakete ab und nahm Kurs in Richtung Osten. Über 3.000 km verfolgte das riesige Aquitaine Radar die Rakete. Doch den eigentlichen Bahneinschuß konnten französische Bodenstationen nicht beobachten. Daher war das Entsetzen groß, als nach 80 min während des berechneten ersten Überflugs keine Signale des Satelliten empfangen werden konnten. Doch schließlich traf aus den USA die erlösende Nachricht ein. Die USAF hatte einen neuen Satelliten auf einer Bahn entdeckt, die nahe der für „Asterix“ berechneten lag. Eigentlich waren es sogar zwei Objekte. Die Herkunft des zweiten, deutlich kleineren, Objekts blieb lange ein Rätsel. Möglicherweise handelte es sich um einen 8er Maulschlüssel, den angeblich ein Techniker beim Aufsetzen der Nutzlastverkleidung in ihrem Inneren vergessen hatte! Mit der präzisen Kenntnis der Umlaufbahn konnten schließlich auch noch schwache Funksignale des Satelliten empfangen werden. Offenbar waren die Antennen beim Abtrennen der Nutzlastverkleidung abgerissen worden. Dieses Mißgeschick beeinträchtigte den Jubel über den geglückten Satellitenstart aber nicht nennenswert. Frankreich war als drittes Land in den Kreis der Raumfahrtnationen aufgestiegen. Zwar waren Großbritannien (26.04.1962), Kanada (29.09.1962) und Italien (15.12.1964) den Franzosen damit zuvorgekommen, einen Satelliten ins All zu befördern. Doch sie waren dazu auf die Hilfe der USA angewiesen gewesen, die jeweils die Trägerrakete gestellt hatten.
Einige Zeit, nachdem der erste Jubel verklungen war (Charles de Gaulles hatte unterdessen am 19.12.1965 die Stichwahl um die Präsidentschaft für sich entschieden), wagten es die Ingenieure des Diamant Programms endlich auch, ihren obersten Vorgesetzten, Pierre Messmer über ein Mißverständnis mit weitreichenden Konsequenzen zu informieren. Tatsächlich hatten sie die Chance für einen erfolgreichen Erststart der Rakete nämlich auf 1 zu 9 geschätzt, und nicht umgekehrt, wie es der Minister aufgefaßt hatte…