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Der erste Europäer im All

Hintergrundartikel

Logo der Sojus 28 MissionNoch Ende der 1970er Jahre war eine eigenständige Raumfahrt eine Herausforderung, die nur wenige Nationen gemeistert hatten. Nach einer ersten Welle der Begeisterung im Gefolge des Sputnik Starts, die u.a. Frankreich und Großbritannien zu Raumfahrtmächten hatte aufsteigen lassen, dämpften die hohen Kosten bei überschaubarem Nutzen schon bald wieder das staatliche Interesse. Für die Atommacht China erfolgte der Einstieg in die Raumfahrt zu Beginn der 1970er Jahre hingegen schon fast zwangsläufig. Und für Japan war es einerseits nationales Prestige, das das Raumfahrtprogramm antrieb. Andererseits verkörperte die Meisterung der Raumfahrttechnik bestens den Anspruch Japans, als Industrienation von weltweiter Bedeutung wahrgenommen zu werden. Ende der 1970er Jahre standen zudem Indien und Westeuropa vor dem Einstieg in eine von den Startdienstleistungen der beiden Großmächte USA und Sowjetunion unabhängige Raumfahrt. Während Indien, abgesehen vom Prestige, die praktische Anwendung der Raumfahrt zur Modernisierung des Landes im Auge hatte (mit Kommunikations– und vor allem Erderkundungssatelliten), plante die ESA mit der Ariane Rakete auch von vornherein den Einstieg in die kommerzielle Raumfahrt.
Das war die Ausgangslage, als die Sowjetunion ihren sozialistischen Bruderländern das Angebot unterbreitete, das bisher auf unbemannte Forschungssatelliten beschränkte Interkosmos Raumfahrtprogramm entscheidend zu erweitern. Alle Partnerländer sollten die Gelegenheit erhalten, einen Kosmonauten ins All zu schicken. Propagandistisch war das Angebot natürlich verlockend, bedeutete es doch für die Nationen, jeweils eine international beachtete Erstleistung feiern zu können. Waren doch bis Ende der 1970er Jahre erst wenige Dutzend sowjetischer und amerikanischer Raumfahrer in den Weltraum geflogen. Und das US Space Shuttle, mit dem einmal auch ausländische Spezialisten fliegen sollten, war noch Jahre von seiner Indienststellung entfernt. Damit ergab sich eine gute Gelegenheit, die viel beschworene Überlegenheit des eigenen Gesellschaftssystems zu demonstrieren. Allerdings war das Angebot der Sowjetunion ebensowenig selbstlos, wie die Mitfluggelegenheit für deutsche Astronauten, die die NASA im Gegenzug für die Überlassung des Spacelabs einräumte. Auch die Sowjetunion ließ sich die Teilnahme der Raumfahrer aus den Interkosmos Ländern an ihren bemannten Missionen vergüten. Wobei man geschickt die Möglichkeit nutzte, sich „in Naturalien“ bezahlen zu lassen. Konkret hieß das, daß die betreffenden Länder bevorzugt mit der Entwicklung und Lieferung von Equipment das gesamte Raumfahrtprogramm stärken sollten. Wobei natürlich die individuellen Möglichkeiten hierfür deutlich variierten. Vor allem die DDR, aber auch Ungarn, Bulgarien, Polen und die Tschechoslowakei hatten schon das unbemannte Interkosmos Programm mit eigenen Instrumenten und Systemen spürbar vorangebracht. Manche Entwicklung fand ihren Weg in sowjetische Satelliten. Kuba und Vietnam markierten hingegen das andere Ende der Skala. Diese Länder profitierten vor allem durch den großen Propagandaeffekt und die Ergebnisse der wissenschaftlichen Studien im All. Dementsprechend stand für die Kosmonauten dieser Länder die Erderkundung im Vordergrund.
Die Idee, bis Anfang der 1980er Jahre jeweils einem Vertreter aller am Interkosmos Programm teilnehmenden Staaten einen Aufenthalt an Bord einer sowjetischen Raumstation zu ermöglichen, wurde im Juli 1976 auf einer Beratung in Moskau vorgestellt. Wobei die von den Gastgebern formulierte „Einladung“ wenig Zweifel daran ließ, daß eine Teilnahme auch unbedingt erwünscht war: „..basierend auf einer breiten wissenschaftlich-​technischen Zusammenarbeit wird bis Anfang der achziger Jahre jeder Teilnehmerstaat des INTERKOSMOS-​Programms einen Kosmonauten mit einem sowjetischen Raumschiff um den Erdball geschickt haben…“. Die Sowjetunion versicherte sich so der Hochtechnologie ihrer Partnerstaaten, band diese mit der öffentlichkeitswirksamen Aktion enger an sich und nutzte die mehrjährige Zwangspause des bemannten US-​Raumfahrtprogramms für eine Demonstration ihrer eigenen Fortschritte auf diesem Gebiet. Trotz der erkennbaren Belastungen für den Staatshaushalt der teilnehmenden Länder waren die grundlegenden Vertragsfragen zu dem Programm bis Mitte September 1976 geklärt. Unter großem Zeitdruck wurden in den ersten drei Ländern, der Tschechoslowakei, Polen und der DDR, Auswahlkommissionen eingerichtet, die unter den Militärpiloten geeignete Kandidaten für einen Raumflug suchen sollten. Jeweils zwei Bewerber wurden im Dezember 1976 zum Training ins Sternenstädtchen bei Moskau geschickt. Da alle Kandidaten aufgrund ihrer Pilotenausbildung u.a. bereits über gute russische Sprachkenntnisse verfügten, konnte die Ausbildung in diesem Punkt beschleunigt werden. Andererseits hatte auch die Sowjetunion erst seit wenigen Jahren präzise Trainingspläne für die Ausbildung ihrer Kosmonauten. Man befand sich gerade in der Phase, in der Flüge zu Saljut Raumstationen Routine zu werden begannen. Nun also innerhalb vergleichsweise kurzer Zeit Piloten aus verschiedenen Ländern und Kulturkreisen zu qualifizierten Bordingenieuren für das Sojus Raumschiff auszubilden, war schon eine Herausforderung (und endete mit dem Kompromiß, den zweiten Sitz der Sojus mit einem „Forschungskosmonauten“ zu besetzen).
Gubarew und Remek am Fuß ihrer RaketeDie Partei– und Staatsführung der DDR hatte sich große Hoffnungen gemacht, daß einem Bürger ihres Landes die Ehre zukommen würde, den Premierenflug des Interkosmos Programms zu unternehmen. Vieles sprach dafür. Die DDR war wohl der engste Verbündete der Sowjetunion. Und ihr Beitrag zum Interkosmos Programm war hoch geschätzt. Insbesondere die Multispektralkamera MKF-​6  (später MKF-​6 M) war ein herausragendes Instrument im sowjetischen Raumfahrtprogramm. Schließlich gab es noch das Argument, daß die Bundesrepublik Deutschland voraussichtlich Anfang der 1980er Jahre einen ihrer Bürger mit dem Space Shuttle ins All schicken würde. Dem galt es natürlich unbedingt zuvorzukommen. Und dennoch entschied sich die Sowjetunion anders. Die Ehre als erster Europäer ins All zu fliegen, würde einem Bürger der Tschechoslowakei zuteil werden. Der Kandidat der DDR käme sogar erst nach dem Flug des polnischen Vertreters zum Zuge. Wer diese Reihenfolge bestimmte und warum ist bis heute nicht ganz klar. War es Zufall, daß zehn Jahre nach dem Ende des Prager Frühlings ausgerechnet ein Tscheche den ersten bemannten Interkosmos Flug unternahm? Andererseits war auch die Tschechoslowakei sehr engagiert im Interkosmos Programm und hatte eine Reihe von Satelliten mit Instrumenten ausgestattet.
Für das Interkosmos Programm wurde ein neues standardisiertes Missionsschema ausgearbeitet. Demnach brachten die internationalen Besuchsmannschaften ein neues Sojus Raumschiff zur Saljut 6 Raumstation, forschten dort rund fünf Tage gemeinsam mit der Stammbesatzung, und kehrten schließlich nach durchschnittlich 7 Tagen und 21,5 Stunden (±1 Stunde) entweder an Bord ihres eigenen oder des Sojus Raumschiffs zur Erde zurück, mit dem die letzte Stammbesatzung gestartet war. Vor und nach dem Start sowie während des Fluges gab es umfangreiche Gelegenheiten für Live-​Fernsehschaltungen, Ansprachen, Dankesreden und Glückwünsche. Für die mit Sojus 28 geplante Mission trainierten Alexej Gubarew als Kommandant und Vladimír Remek als Forschungskosmonauten. Die Reservebesatzung bildeten Nikolai Rukawischnikow und Oldřich Pelčák. Die beiden sowjetischen Raumfahrer hatten bereits Erfahrung mit kritischen Missionen. Ihre Partner brachten zwar reichlich Erfahrung als Militärpiloten mit, erhielten aber nur eine verkürzte Raumfahrerausbildung, die nicht der Qualifikation eines Bordingenieurs entsprach. Umso mehr Verantwortung trug bei den Besuchsflügen der jeweilige Kommandant.
Zweimal hatte zuvor der Start verschoben werden müssen. Doch am 02.03.1978 um 15:28 UTC hob die Sojus-​U 11A511U problemlos von der „Gagarin-​Rampe“ in Baikonur ab. Im Sojus 28 Raumschiff an der Spitze der Rakete saßen Alexej Gubarew und Vladimír Remek. Erstmals war ein Mensch auf den Weg ins All, der nicht Bürger der Sowjetunion oder der USA war. Ein kleine Delegation aus der Tschechoslowakei verfolgte in Baikonur das Geschehen. Ihre hochrangigsten Vertreter waren Jaroslav Kožešník (Präsident der Akademie der Wissenschaften der Tschechoslowakei) und Jozef Lenárt (Mitglied des ZK der KPČ). Auch Boris Petrow, Vorsitzender des Interkosmos Rates, war anwesend. Die Staats– und Parteichefs der UdSSR und der ČSSR, Leonid I. Breschnew und Alexei N. Kosygin sowie Gustáv Husák und Lubomír Štrougal gaben Botschaften anläßlich des gemeinsamen Raumfluges beider Nationen heraus. Vor der Presse gaben Boris Petrow und Wladimir Schatalow bekannt, daß noch 1978 zwei weitere Interkosmos-​Besatzungen mit Forschungskosmonauten aus Polen und der DDR zu Saljut 6 starten sollten.
Vladimir Remek an Bord von Saljut 6Unterdessen näherte sich Sojus 28 der Raumstation. Während des dreizehnten Umlaufs am 03.03.1978 wurde das Docking erreicht und damit ein damals noch immer kritisches Element der Mission gemeistert. Die Bilder von der Begrüßung der Gäste durch die Stammbesatzung der Station wurden in den Ländern der sowjetischen Einflußsphäre in den Hauptnachrichtensendungen ausgestrahlt. Radio Moskau gab weitere Details der Mission bekannt und offenbarte zudem, daß noch im März 1978 Kosmonautenkandidaten aus Bulgarien, Ungarn, Rumänien, Kuba und der Mongolei das Training aufnehmen würden. Auch während der nächsten Tage gab es live TV-​Übertragungen von Bord der Raumstation. Und immer wieder wurden Grußbotschaften und –telegramme ausgetauscht. Remek hatte daneben die Experimente zu betreuen, die Wissenschaftler seines Landes für die Mission entwickelt hatte. So nutzte er den Splaw-​O1  Schmelzofen für die Experimentenreihe „Morawa“, bei der es um die Züchtung von Kristallen und die Herstellung neuer Halbleitermaterialien ging. Im Rahmen des „Extinctica“ Experiments fanden astronomische Beobachtungen statt und „Chlorella“ diente der Untersuchung des Wachstums von Algen unter kosmischen Bedingungen. Wie praktisch mit jedem Raumfahrer wurden auch mit Remek medizinische Untersuchungen vorgenommen.
die erste Interkosmos Besatzung nach der LandungNach nur wenigen Tagen war der Aufenthalt an Bord von Saljut 6 wieder beendet. Gubarew und Remek koppelten am 10.03.1978 um 10:23 UTC mit Sojus 28 wieder von der Raumstation ab und traten den Rückflug an. Die Landung erfolgte am 10.03.1978 um 13:44 UTC in der Steppe 135 km nördlich von Arkalyk. Auch von den Bergungsoperationen wurden nochmals Fernsehbilder übertragen. Es folgte eine weitere Runde von Glückwünschen politischer Repräsentanten beider Nationen. Nach Abschluß der medizinischen Untersuchungen und ersten Auswertungen der Experimente kehrte Remek in seine Heimat zurück. Hier tourte er mit seinem Kommandaten auf einer Jubeltour durch das Land. Zwar wurde dabei kaum etwas dem Zufall überlassen. Doch die Begeisterung war tatsächlich groß. Immerhin war Remek erst der 87. Mensch, der überhaupt einen Raumflug unternommen hatte. Und er stammte aus einem 15 Millionen Einwohner Land, das so unvergleichlich kleiner war, als die UdSSR oder die USA.
Langfristig war die Bedeutung des Unternehmens allerdings erheblich geringer. Das Engagement der Tschechoslowakei im Interkosmos Programm wurde natürlich gestärkt, wovon sowohl die Tschechoslowakei als auch die Sowjeunion profitierten. Letztere gewann das know-​how ihrer Partner und führte einige der erfolgreichen Interkosmos Experimente teils noch über Jahre fort. Allerdings waren auch die Kosten des Prestigeprogramms erheblich, vor allem die reinen Kurzzeitmissionen waren eigentlich unwirtschaftlich. In die Phase der Interkosmos Missionen fällt andererseits auch der Gewinn großer Routine beim Betrieb einer Raumstation. Da der zweite Sitz der Sojus aber von den Gastkosmonauten besetzt war, profitierte jeweils nur ein sowjetischer Berufskosmonaut von dem wachsenden Erfahrungsschatz. Andere Kandidaten für einen Raumflug mußten weitere Jahre auf ihren Einsatz warten oder schieden aus, ohne je geflogen zu sein.
Heute ist weitgehend in Vergessenheit geraten, daß mit Vladimír Remek ein Tscheche als erster Europäer einen Raumflug unternommen hat. Sein Heimatland Tschechoslowakei hörte 1992 auf zu existieren. Die seither wieder eigenständige Slowakei konterte den Flug des Tschechen Remek 1999 mit dem Flug ihres eigenen Kosmonauten Ivan Bella. Gegenwärtiger sind für viele Europäer aber die Mitflüge von Deutschen, Franzosen, Italienern, Niederländern, Belgiern… an Bord des Space Shuttle vor allem in den 1980er und 1990er Jahren. Mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion kam Anfang der 1990er Jahre auch das Ende des Interkosmos Programms. Doch seit dem 08.07.2008 ist Tschechien Mitgliedsstaat der ESA. Und vielleicht fliegt eines Tages ja wieder ein Bürger dieses Landes in den Weltraum.

[1] im allgemeinen Sprachgebrauch wird Remek der erster Europäer im All genannt — natürlich flogen vor ihm bereits sowjetische Kosmonauten u.a. aus dem europäischen Teil Rußlands