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Spacelab — das „Mehrweg“ Raumlabor

Hintergrundartikel

George Bush: „The knowledge Spacelab will bring back from its many missions will belong to all mankind…“

Spacelab Programm LogoEinen, wenn nicht gar den, Glanzpunkt der nationalen Raumfahrtbemühungen konnte die deutsche Öffentlichkeit am 28.11.1983 erleben, als am 28.11.1983 die US Raumfähre zu ihrer neunten Mission von Cape Canaveral abhob. Denn die riesige Nutzlastbuch der „Columbia“ war erstmals mit dem europäischen Raumlabor Spacelab bestückt, das unter deutscher Führung entwickelt worden war. Nach damaligen Planungen sollte in den kommenden Jahren eine Fülle an Einsätzen des variabel zu bestückenden Labors folgen. Und tatsächlich war das Spacelab geeignet, bis zu einem gewissen Grad das Fehlen einer permanenten Raumstation im amerikanischen Raumfahrtprogramm zu kompensieren. Die Packungsdichte wissenschaftlicher Experimente auf beschränktem Raum war jedenfalls beeindruckend und übertraf jene der sowjetischen Raumstation Saljut deutlich.
frühes Shuttle Design mit „Sortie Lab“ Das Grundkonzept des Spacelab ging auf Gespäche zurück, die die Raumfahrtbehörden NASA und ESRO 1969 noch vor der ersten bemannten Mondlandung begonnen hatten. Bei der NASA war man sich bewußt, daß die gewaltigen finanziellen Mittel, die der Kongreß für das Apollo-​Programm bewilligt hatte, nach dem Erreichen dieses Ziels rasch zusammengestrichen werden würden. Daher suchte man nach Möglichkeiten, das Apollo-​Programm in Wissenschaftsprogramm mit breiterer Zielsetzung umzuwandeln (Apollo Applications Program). Realisiert wurde davon letztlich nur das Skylab Raumstationsprogramm. Die ESRO war aber eingeladen worden, sich mit Ideen für Experimente zu beteiligen. Und diese Avance wurde von NASA Administrator Thomas O. Paine wiederholt, als dieser im Oktober 1969 London, Bonn und Paris besuchte. Nun stellte er aber die neuesten Entwicklungen vor, die die langfristige Planung für eine wiederverwendbare Raumfähre beinhalteten. Im Gegensatz zu Kanada, Australien und Japan, die Paine in den folgenden Monaten ebenfalls besuchte, waren die Europäer leicht für eine Beteiligung zu begeistern. Unter den mit der ESRO diskutierten Vorschlägen befand sich neben dem für einen „Space Tug“ auch der für ein zum Transport mit dem Shuttle maßgeschneidertes Raumlabor. Die NASA hatte 1971 das Konzept der sogenannten Research and Applications Modules (RAMs) entwickelt, einer Reihe von Druckmodulen für die Grundlagen– und angewandte Forschung. Langfristig sollten die RAMs auch beim Auf– und Ausbau einer zukünftigen Raumstation oder als frei fliegende autonome Labore zum Einsatz kommen. Den Auftakt sollten aber zunächst möglichst einfache und damit kostengünstige Module bilden. Beim Marshall Space Flight Center nannte man diese etwas herablassend „Sortie Can“. Das NASA Project Designation Committee taufte das Konzept dann aber auf den als passender empfundenen Namen „Sortie Lab“.
Unterzeichnung des MoU zum Bau des SpacelabAls im Juni 1972 eine Delegation der European Space Conference das NASA Hauptquartier besuchten, wurde ihnen bedeutet, daß die Option für eine Bugsierstufe vom Tisch war. Gerade die deutsche Raumfahrtindustrie hatte eine Vielzahl von Studien für eine solche Stufe unternommen, die zum Transport von Satelliten aus dem niedrigen Aussetzorbit des Shuttle auf einen höheren (i.d.R. geostationären) Arbeitsorbit — und zurück — geeignet sein sollte. Doch bei der NASA traute man den Europäern diese Entwicklung nicht zu. Jedenfalls offiziell. Dem Bau eines europäischen „Sortie Lab“ stand man hingegen wohlwollend gegenüber. So wurde den Delegationsmitgliedern bedeutet. Prompt wurden noch 1972 von drei Raumfahrtkonsortien Durchführbarkeitsstudien für ein Raumlabor angefordert. Diese mündeten in einer formellen Ausschreibung, an der sich das COSMOS Konsortium (MBB), das STAR Konsortium (British Aircraft Corporation) und die MESH Gruppe (ERNO) beteiligten. Einen Dämpfer erlitten die Bemühungen um eine europäisch-​amerikanische Zusammenarbeit im Shuttle Programm, als die NASA am 31.10.1972 bekannt gab, daß sie keine Shuttle Unteraufträge an europäische Partner vergeben würde. Die offizielle Begründung dafür lautete, daß die Europäer bis zum Stichtag nicht erklärt hatten, daß sie sich mit der Entwicklung des „Sortie Lab“ am Shuttle Programm beteiligen würden. Das hatte die NASA aber zur Bedingung für die Vergabe weiterer Aufträge gemacht. Kostenverteilung im Spacelab ProgrammTatsächlich befand sich die europäische Raumfahrtpolitik zu dieser Zeit aber in einer fundamentalen Krise. Erstaunlich genug, daß man überhaupt die Kraft aufbrachte, ernsthaft an eine umfassende Kooperation mit der NASA zu denken. Doch auch die NASA befand sich nicht in einer Situation, die es erlaubt hätte, auf einen substantiellen europäischen Anteil zu verzichten. Am 18.01.1973 beschlossen die ESRO Mitgliedsstaaten in ungewohnter Eintracht die Entwicklung des „Sortie Lab“. Die Bundesrepublik Deutschland, Italien, Belgien und Spanien sagten unmittelbar ihre Beteiligung an dem Projekt zu. Auf der nächsten europäischen Weltraumkonferenz Anfang August 1973 wurde dann der Finanzschlüssel des auf 250 bis 300 Mio. $ kalkulierten Programms beschlossen: 52,65% für Deutschland, 10% für Frankreich, 6,3% für Großbritannien. Der Rest verteilte sich auf die anderen acht ESRO Nationen. Am 24.09.1973 wurde das Memorandum of Understanding zur Entwicklung des „Sortie Lab“ unterzeichnet. Zehn europäische Nationen, Belgien, Dänemark, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, die Niederlande, Österreich, die Schweiz und Spanien, hatten unterdessen ihre Beteiligung zugesagt. Unterdessen hatte die STAR Gruppe ihre Bewerbung um den Auftrag nach den ersten beiden Projektphase A und B1 (01.06.1972 – 31-​01 – 1973) zurückgezogen. Die beiden anderen Bieter reichten nahmen vom 01.02.1973 bis zum 31.12.1973 auch an den Projektphasen B2 und B3 teil. Im Februar 1974 reichten sie ihre Angebote ein. Kontrovers wurde die Entscheidung der ESRO für das MESH Konzept aufgenommen. Dieses hatte vor allem mit seiner Modularität überzeugt. Am 06.06.1974 erhielt die MESH Gruppe offiziell den Entwicklungsauftrag.
Ankunft von Spacelab Baugruppen auf dem KSCTatsächlich hatte MESH (Matra, ERNO, Saab, Hawker-​Siddeley) damit den Zuschlag für ein Raumfahrtprojekt erhalten, das in seinem Umfang und hinsichtlich der Komplexität alles in den Schatten stellte, was die europäische Raumfahrt bis dahin geleistet hatte. Anspruchsvoll war auch der vertraglich zugesicherte Zeitrahmen, der die Übergabe des Flugmodells an die NASA für das Jahr 1979 vorsah. Vor allem aber die zugesagten Einsatzcharakteristika waren eine Herausforderung. Innerhalb von 160 Stunden nach der Landung mußte das Labor für die Integration neuer wissenschaftlicher Nutzlasten bereitstehen und nach 30 weiteren Stunden wieder einsatzbereit stehen. Bis zu 26 „Sortie Lab“ Missionen sah der provisorische Shuttle Flugplan für einen Zeitraum von zwei Jahren vor! Ausgelegt wurden alle Komponenten für 50 Missionen oder 10 Jahre Einsatz. Tatsächlich konnte weder der Zeit– noch der Kostenrahmen des schließlich „Spacelab“ getauften Projekts eingehalten werden. Im November 1975 wurde mit der vorläufigen Entwurfsüberprüfung (Preliminary Design Review) begonnen. Schon im Mai 1976 war eine 1:1 Attrappe fertiggestellt. Die endgültige Entwurfsüberprüfung (Critical Design Review) lief von November 1976 bis März 1978. Noch vor Abschluß des CDR war mit der Montage des Ingenieurmodells begonnen worden, das am 28.11.1978 die Reise in die USA antrat. Die erste Flugeinheit (FU1) wurde ab April 1979 montiert. Offiziell erfolgte die Übergabe von FU1 am 04.12.1981. Im Mai 1982 war auch die First Spacelab Payload (FSLP) für die erste Spacelab Mission fertiggestellt. Am 27.05.1984 übergab man auch die zweite Flugeinheit (FU2), die die NASA 30.01.1980 beauftragt hatte, an den Partner. Das Ergebnis der europäischen Bemühungen hatte letztlich alle Kritiker überzeugt. Die geforderte Flugrate erreichte das Labor in der Praxis nie (insgesamt gab es 22 Spacelab Einsätze). Mit seiner großen Flexibilität erlaubte das Spacelab aber ein Vielzahl höchst unterschiedlicher Wissenschaftsmissionen, die zum Erfolg des Shuttle Programms massiv beitrugen. Im Baukastenprinzip konnten zwei Druckmodule (kombiniert zu einem Long Module) — gebaut von Aeritalia, Palettenmodule — gebaut von British Aerospace und bei Bedarf ein Iglu-​Versorgungsmodul kombiniert werden. Eine Sonderrolle hatte das IPS (Instrument Pointing System) inne, eine auf einer Palette montierte hoch präzise Nachführungseinheit für Teleskope und Radaranlagen, die von Dornier geliefert wurde.
Spacelab Fertigung bei ERNO in Bremen (links das Ingenieur-Modell, rechts die erste Flugeinheit)ERNO (Entwicklungsring Nord), wo die Systemführerschaft des Spacelab Programms lag, hatte gewaltige Investitionen in seine Infrastruktur unternommen. So wurde im Herbst 1976 eine 1.125 m² große Montagehalle eingeweiht. Ähnlich sah es bei den anderen am Projekt beteiligetn Unternehmen aus. Die großen Hoffnungen auf den europäischen Einstieg in die bemannte Raumfahrt — und damit auf industrielle Folgeaufträge — sollten sich nur bedingt materialisieren. Bereits 1982 fusionierte die ERNO mit dem unterlegenen Bieter um den „Sortie Lab“ Auftrag, MBB, zur MBB-​ERNO. Heute ist man Teil des EADS Konzerns. Alenia, vormals Aeritalia, konnte mehr Kapital aus seiner Beteiligung am Spacelab Programm schlagen. Zunächst bildeten die Pressurized Modules des Spacelab die Grundlage für die Single und der SPACEHAB Inc., die ab 1993 ebenfalls an Bord des Space Shuttle zum Einsatz kamen. Nächster Schritt war ein ASI-​NASA Abkommen zur Lieferung von drei Multipurpose Pressurized Logistic Modules, MPLMs, die große Bedeutung bei der Versorgung der ISS erlangten. Die Frachtsektionen des europäischen ATV Frachtraumschiffs gehen ebenso wie die der „Cygnus“ des US Unternehmens OSC auf die Spacelab PMs zurück. Nicht zu vergessen auch das europäische Raumstationsmodul „Columbus“.
Der erwartete Einstieg der Europas in die bemannte Raumfahrt erreichte nicht den von vielen erhofften Umfang. Zwar bildete das Spacelab Programm den Anlaß zum Aufbau eines europäischen Raumfahrerkorps. Auch einige der beteiligten Nationen begannen mit der Aufstellung nationaler Raumfahrer-​Trainingsgruppen. Doch die hohen Kosten ließen nur wenige bemannte Missionen zu. Stattdessen flogen viele der Astronauten nach dem Ende des Kalten Krieges kostengünstiger mit sowjetischen/russischen Sojus Raumschiffen ins All. Denn die NASA zeigte gegenüber ihren Partnern kein Entgegenkommen bei der Bezahlung von Shuttle Mitfluggelegenheiten. Die längst aus dem Ruder gelaufenen Kosten des Shuttle Programms ließen der NASA allerdings auch kaum einen Spielraum. Vertraglich war zudem lediglich die erste Spacelab Mission im November 1983 als Kompensationsgeschäft für die Entwicklung und Lieferung des Spacelab vereinbart worden. Der deutsche Astronaut Ulf Merbold hatte die Ehre, als europäischer Vertreter an dieser Mission teilzunehmen. Schon bei der folgenden rein deutschen Spacelab D-​1  Mission waren mehr als 100 Mio. $ fällig. Politisch geriet das Spacelab Programm damit zu einem Lehrstück, wie solche Verträge besser nicht abgeschlossen werden sollten. Heute garantiert die europäische finanzielle und logistische Beteiligung an der Internationalen Raumstation zwar regelmäßige bemannte Flüge von ESA Astronauten. Die hochfliegenden Pläne für eine eigene Raumstation (Man Tended Free Flyer — MTFF) und eine Raumfähre zur Versorgung derselben („Hermes“) konnten nicht finanziert werden. Eine eigenständige bemannte Raumfahrt steht heute nicht mehr auf der Agenda der ESA. Das Spacelab Programm kann somit wohl als (vorläufiger?) Höhepunkt der diesbezüglichen europäischen Bemühungen verstanden werden.