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NOTS EV-​1 

Trägerrakete

NOTS EV-1

Während die US Navy noch mit dem von zahlreichen Rückschlägen geplagten Vanguard Programm im Licht der Öffentlichkeit stand, betrieb sie zur gleichen Zeit ein anderes, streng geheimes Satellitenprogramm. Die Naval Ordnance Test Station (NOTS) in China Lake nordöstlich von Los Angeles war eines der geheimsten Waffenentwicklungs– und Erprobungszentren der USA in den 1950er und frühen 1960er Jahren. Anfang 1958 entstand dort die Idee, mittels einer vom Flugzeug abzuwerfenden Rakete einen kleinen Satelliten zu starten — noch bevor dies dem offiziellen Satellitenprogramm der USA, Vanguard, gelangen war. Im Vergleich zum NRL, dem die Verantwortung für die Vanguard Rakete oblag, war die NOTS weitaus erfahrener im Umgang mit Raketen. Trotz des extrem knappen Zeitrahmens, den man sich gesteckt hatte, gingen die Ingenieure der NOTS das Projekt mit Optimismus an. Für die Rakete griff man auf vorhandene Komponenten zurück. Vier Feststofftriebwerke aus dem ASROC bzw. SUBROC Programm wurden gebündelt. Seit Anfang der 1950er Jahre beschäftigte sich die NOTS mit der Entwicklung eines raketengetriebenen Torpedos für den Über– und Unterwasserstart. Obwohl weder ASROC noch SUBROC bis dahin die Einsatzreife erreicht hatten, boten die Antriebe das nötige Potential für den neuen Einsatzzweck. Um Gewicht zu sparen, wurde der Feststofftreibsatz in ein leichteres Gehäuse gegossen. Zwei der nun HOTROC genannten Antriebe bildeten die Erststufe, die anderen zwei die Zweitstufe der als NOTS EV-​1  „Pilot“ bezeichneten Rakete (Spitzname „NOTSNIK“). Als dritte Stufe kam ein ABL X-​241  Triebwerk zum Einsatz, ein Vorläufer des X-​248  für die Vanguard. Die beiden letzten Stufen der Rakete wurden direkt von der NOTS entwickelt, wobei das winzige kugelförmige Triebwerk der 5. Stufe effektiv einen Bestandteil des Satelliten bildete. Dieser wurde ebenso wie die Rakete in Rekordzeit gebaut und mußte der Nutzlastkapazität der Rakete von nur 1 kg angepaßt werden. Dennoch entwickelten die Experten der US Navy sowohl einige Sensoren als auch ein Miniatur-​Bildscannersystem, das in der Lage gewesen wäre, einfache Erdaufnahmen zu liefern. Da es das erklärte Ziel des Programms war, Strahlungsmessungen während der „Argus“ Atomtests vorzunehmen, mußte die gesamte Entwicklung innerhalb weniger Wochen abgeschlossen werden. Von der Ausarbeitung des Konzepts im Februar 1958, über die Sicherstellung der Finanzierung im Mai bis zu den sechs Starts im Juli/August 1958 vergingen lediglich 6 Monate!
Vier von sechs Starts endeten mit Explosionen oder dem strukturellen Versagen der Rakete kurz nach dem Abwurf vom F4D-​1  „Skyray“ Trägerflugzeug. Doch bei den beiden anderen Starts besteht die Möglichkeit, daß der Satellit tatsächlich einen Orbit erreicht hatte. Bereits der erste Start am 25.07.1958 war womöglich ein Erfolg. Doch weder der Pilot des Trägerflugzeugs noch die Crew eines Begleitflugzeugs konnten nach der Zündung der Rakete deren Flug verfolgen. Zwar wurden von einigen der Bodenstationen kurz darauf schwache Signale empfangen, doch waren diese zu verstümmelt, um ein klares Bild zu ergeben. Und die Batteriekapazität des Senders war auf maximal drei Erdorbits ausgelegt. Beim dritten Start am 22.08.1958 konnte der Flug der Rakete während der ersten Sekunden beobachtet werden. Und offenbar registrierten mehrere der Bodenstationen zum Zeitpunkt des berechneten Überflugs schwache Signale. Demnach hatte der Satellit nicht nur einen Orbit erreicht, sondern sogar einen nahe der vorgesehenen Kreisbahn! Selbst innerhalb des NOTS Teams wurde der Erfolg aber angezweifelt und vielfach als Wunschdenken abgetan. Endgültige Klarheit kann heute unmöglich hergestellt werden.
Über 30 Jahre vergingen, bis tatsächlich eine geflügelte, von einem Flugzeug getragene, Rakete (wieder) einen Satelliten auf eine Erdumlaufbahn transportierte. Mit der Pegasus entstand ein hochkomplexes Fluggerät mit modernster Avionik und Computertechnik. Demgegenüber war die NOTS EV-​1  eine ungelenkte Rakete gewesen, die ohne bewegliche Teile ausgekommen war, stabilisiert lediglich von vier kreuzförmig angeordneten aerodynamischen Flächen am Heck! Die Umlaufbahn des Satelliten bestimmte hier erheblich der Pilot mit seinem Geschick beim Abwurf…


Gesamt­sys­tem
Nation USA
Bezeichnung(en) NOTS EV–, Pilot, „NOTSNIK
Entwick­lungszeitraum 1958 
erster Start 25 .07 .1958  (Fehlstart)
Ein­satzzeitraum 1958 
Stufen­zahl
Gesamthöhe ,38  m
Basis­durchmesser ,76  m
Span­nweite Stabilisierungsflächen ,65  m
max. Nutz­masse kg
Leer­masse
Treib­stoff­masse 727  kg
Start­masse ca. 950  kg
Startschub 126  kN
. Stufe
Her­steller
Bezeichnung(en)
Länge ,80  m
Durchmesser ,30  m
Leer­masse
Treib­stoff­masse ×136  kg
Gesamt­masse ×164  kg
Antrieb Fest­stofftrieb­w­erke HOTROC
Treib­stoff Fest­stoff
Gesamt-​Startschub 126  kN
spez­i­fis­cher Impuls 230  s
Bren­ndauer , s
. Stufe
Her­steller
Bezeichnung(en)
Länge ,80  m
Durchmesser ,30  m
Leer­masse
Treib­stoff­masse ×136  kg
Gesamt­masse ×164  kg
Antrieb Fest­stofftrieb­w­erke HOTROC
Treib­stoff Fest­stoff
Gesamt-​Schub 126  kN
spez­i­fis­cher Impuls 230  s
Bren­ndauer , s
. Stufe
Her­steller
Bezeichnung(en)
Länge ,48  m
Durchmesser ,46  m
Leer­masse
Treib­stoff­masse 171  kg
Gesamt­masse 196  kg
Antrieb Fest­stofftrieb­w­erk ABL X–241 
Treib­stoff Fest­stoff
Vaku­um­schub 12  kN
spez­i­fis­cher Impuls (Vakuum) 260  s
Bren­ndauer 36  s
. Stufe
Her­steller NOTS
Bezeichnung(en)
Länge ,47  m
Durchmesser ,20  m
Leer­masse
Treib­stoff­masse 12  kg
Gesamt­masse 15  kg
Antrieb Fest­stofftrieb­w­erk NOTS–100 
Treib­stoff Fest­stoff
Vaku­um­schub kN
spez­i­fis­cher Impuls (Vakuum) 245  s
Bren­ndauer , s
. Stufe
Her­steller NOTS
Bezeichnung(en)
Länge ,14  m
Durchmesser ,08  m
Leer­masse
Treib­stoff­masse ,32  kg
Gesamt­masse ,57  kg
Antrieb Fest­stofftrieb­w­erk NOTS
Treib­stoff Fest­stoff
Vaku­um­schub ,76  kN
spez­i­fis­cher Impuls (Vakuum) 245  s
Bren­ndauer s
Nut­zlastverklei­dung
Länge
max. Durchmesser

Quellen:

[1] Joel W. Powell: NOTS Air-​Launched Satellites [in Spaceflight Magazin], November 1994 
[2] Peter Pesavento: Secrets Revealed About the Early US Navy Space Programme [in Spaceflight Magazin], Juli 1996