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Start von Sputnik 1
Techniker mit Sputnik 1
Fred Whipple und J. Allen Hynek markieren die Bahn des Sputnik auf einem Globus am MIT
„Der künstliche Erdsatellit“ (1957)

Ungläubiges Staunen lösten die Pressemeldungen aus, die die sowjetische Nachrichtenagentur TASS in den Abendstunden des 04.10.1957 weltweit verbreitete. Sondersendungen des Moskauer Rundfunks informierten zeitgleich die eigenen Bürger über die jüngste Großtat sowjetischer Forscher, denen es gelungen war, den ersten künstlichen Erdsatelliten (russ. Первый Искусственный Cпутник Земли) zu starten. Die auch in der Sowjetunion beliebte wissenschaftlich-​phantastische Literatur hatte dieses Ereignis schon längst vorweggenommen. Bemannte Raumflüge zu fremden Planeten und gar Sonnensystemen wurden hier als gar nicht so ferne Zukunft beschrieben. Die mit der Realisierung dieser Träume befaßten Ingenieure und Wissenschaftler wußten es bei allem Idealismus besser. Mit den ersten mehrstufigen Großraketen stand den Forschern Anfang der 1950er Jahre aber endlich ein geeignetes Mittel zu Verfügung, einen Satelliten auf den Erdorbit zu befördern. Und so verkündete James C. Hagerty, Pressesekretär von US Präsident Dwight D. Eisenhower, am 29.07.1955, daß die USA im Rahmen des vom 01.07.1957 bis 31.12.1958 laufenden Internationalen Geophysikalischen Jahres (IGJ) einen kleinen Forschungssatelliten starten würden, dessen Messungen die Sondierungen der Atmosphäre mittels Höhenforschungsraketen ergänzen sollten. Nur vier Tage später konterte in Kopenhagen auf dem VI. Kongreß der International Astronautical Federation (IAF) Leonid I. Sedow, ein international anerkannter sowjetischer Physiker, die US Bekanntmachung mit der Erklärung, daß der Start eines sowjetischen Satelliten „in naher Zukunft“ zu erwarten sei. Zu dieser Zeit sahen sich die USA noch in keinem ernsten Wettbewerb bezüglich des Starts ihres Satelliten und schenkten der Ankündigung wenig Beachtung. Eisenhower hatte vor allem Interesse daran, vor der Sowjetunion einen ausgewiesen zivilen Satelliten zu starten, um den freien Zugang zum Weltraum festschreiben zu können — bevor die ersten militärischen Satelliten nachfolgen würden. In der Sowjetunion hatte unterdessen Sergej P. Koroljow Mühe, die Staats– und Parteiführung für das Satellitenprogramm zu begeistern. Priorität genoß klar die militärische Raketenentwicklung, mit der man der Umklammerung durch US Stützpunkte mit Fernbombern eine eigene atomare Langstreckenwaffe entgegenstellen wollte. Mitte August 1955 hatte Michail K. Tichonrawow, ein langjähriger Weggefährte Koroljows, die Pläne für ein erstes Satellitenprogramm ausgearbeitet. Diese fanden zwar die Unterstützung der Akademie der Wissenschaften, aber nur der Militärisch-​Industrielle Komplex konnte ein Projekt solcher Dimension verwirklichen. Doch erst am 30.01.1956 gab die Regierung den Weg frei für die Entwicklung eines Satelliten, ohne daß konkrete Maßnahmen eingeleitet oder nennenswerte Finanzmittel bereitgestellt wurden. Als im Februar 1956 der sowjetische Premierminister Nikita S. Chruschtschow das OKB-​1  besuchte, war das die Gelegenheit für Koroljow, das bis dahin nur auf dem Papier existierende Raumfahrtprogramm voranzubringen. Unter der Maßgabe, daß die Arbeiten die Entwicklung der ersten sowjetischen Interkontinentalrakete R-​7  nicht verzögern durften, erhielt Koroljow die Freigabe. Die Satellitenstarts sollten als Teil des Erprobungsprogramms der „Semjorka“ erfolgen. Weder die Trägerrakete noch das nahe des Bahnknotens Tjuratam in Kasachstan im Bau befindliche Raketentestgelände waren zu diesem Zeitpunkt auch nur annähernd einsatzbereit. Ende 1956 wurde zudem deutlich, daß der als „Objekt D“ bezeichnete, über eine Tonne schwere, große Forschungssatellit keinesfalls bis zum Spätsommer 1957 fertiggestellt sein würde. Auch lag der spezifische Impuls der Triebwerke der R-​7  noch immer unter den projektierten Werten, so daß zweifelhaft war, ob die Rakete überhaupt in der Lage sein würde, den Satelliten zu starten. Daraufhin wurde auf Vorschlag von Tichonrawow ein kleiner und leichter Testsatellit ohne jede wissenschaftliche Ausrüstung entworfen und gebaut. Dieser erhielt die Bezeichnung PS-​1  (Abk. von russ. Простейший Спутник, svw. vereinfachter Sputnik). Sputnik bestand aus zwei mit Stickstoff gefüllten polierten Aluminiumhalbschalen. Im Inneren der kugelförmigen Satellitenzelle von 0,58 m Durchmesser waren 3 AgZn-​Batterien installiert, die einen Lüfter zur Thermoregulierung und 2 Kurzwellensender speisten. Außen waren zwei Paare von Antennen mit einer Länge von 2,4 m bzw. 2,9 m installiert. Die Gesamtmasse des Satelliten betrug 83,6 kg, nahezu das 10-​fache des geplanten amerikanischen Vanguard Wissenschaftssatelliten. Die seit dem 15.05.1957 laufende Flugerprobung der R-​7  Rakete (militärischer Index 8K71) war, wie nicht anders zu erwarten, mit gemischten Ergebnissen verlaufen. Die Resultate lagen zwischen Totalversager und Flug über die volle Distanz von über 6.400 km. Trotz der noch fehlerbehafteten Rakete ging Koroljow das Risiko ein, und bereitete eine modifizierte R-​7  (Erzeugnis 8K71PS) auf den Start des Satelliten vor. Meldungen aus den USA (die sich später als falsch herausstellten), daß dort der Start eines Satelliten unmittelbar bevor stand, ließen ihm keine Wahl. Das Wagnis zahlte sich aus. Die Sputnik 8K71PS Rakete hob am 04.10.1957 um 19:29 UTC planmäßig von der einzigen Rampe des Testgeländes ab und stieg in den Nachthimmel auf. Allerdings gab es Probleme mit der synchronen Zündung der Triebwerke, was beinahe zu einem heißen Startabbruch geführt hätte. Bei T+16 s trat zudem eine Fehlfunktion im System für die gleichmäßige Leerung der Treibstofftanks auf, was einen höheren Kerosinverbrauch bewirkte. Die Erststufentriebwerke hatten daher 1 s vorzeitig Brennschluß. Doch die Zweitstufe beförderte den Satelliten sicher auf eine Umlaufbahn, wenn diese auch 80 bis 90 km zu niedrig ausfiel. Die Signale der beiden Bordsender, von denen jeweils einer in der Sendepause des anderen aktiv war, konnten bald darauf von Funkamateuren rund um den Globus empfangen werden. Die Wahl der ohne große Ausrüstung empfangbaren Kurzwellenfrequenzen sollten sich als Glücksgriff erweisen. Während die Nachrichtenagenturen aus Moskau mit den Details des Satelliten versorgt (natürlich wurde die hohe Masse herausgestellt) und die Bahndaten und Funkfrequenzen veröffentlicht wurden, machten sich rund um den Globus gemischte Empfindungen breit. Für die Sowjetunion entwickelte sich der Sputnik Start am Vorabend des 40. Jahrestags der Oktoberrevolution zu einem Propagandaereignis, dessen Außenwirkung man selbst noch gar nicht abschätzen konnte (und so auch nicht vorhergesehen hatte). In vielen Staaten gingen jubelnde Menschen auf die Straße, denen die scheinbare Überlegenheit des kommunistischen Systems gerade vor Augen geführt worden war. In Westeuropa mischten sich darunter aber auch andere Stimmen. Kommentatoren verwiesen darauf, daß eine Rakete, die einen so schweren Satelliten in den Erdorbit befördern konnte, auch in der Lage sein mußte, einen atomaren Sprengkopf über tausende Kilometer zu transportieren. Geradezu in Schockstarre verfielen aber die USA. Hier war man ganz selbstverständlich davon ausgegangen, führend bei der Raketenentwicklung und damit auch in der Raumfahrt zu sein. Schließlich hatte man 1945/46 praktisch die gesamte Elite der deutschen Raketenforschung ins Land gebracht. Dementsprechend hatten weder US Präsident Eisenhower noch seine Militärs den Ernst der Lager erkannt, als die Sowjetunion im Sommer 1957 die erfolgreiche Erprobung einer Rakete mit interkontinentaler Reichweite bekanntgegeben hatte. Die ersten Reaktionen waren dann auch eher Versuche, den sowjetischen Erfolg herunterzuspielen. Konteradmiral Rawson Bennett, Chief of Naval Research und als solcher verantwortlich für das Vanguard Satellitenprogramm, bezeichnete den Sputnik als „…ein Stück Eisen, das beinahe jeder werfen könnte…“. Und der scheidende Verteidigungsminister Charles E. Wilson weigerte sich noch immer anzuerkennen, daß die Sowjetunion bereits über eine Interkontinentalrakete verfügte, während in den USA die Teilstreitkräfte Army, Air Force und Navy noch um die Zuständigkeit für das Fernraketenprogramm stritten. Treffend beschrieb die Situation der neu geprägte Begriff „Sputnik Schock“. Das Selbstverständnis der Amerikaner als führende Weltmacht war tief erschüttert. In der Folge wurden verschiedene Raketenprojekte in den USA stark forciert und bekamen höchste Dringlichkeitsstufen. Die US Army erhielt die Erlaubnis zum Start eines Satelliten. Die NASA wurde gegründet und Wernher von Braun mit seinem Entwicklungsteam an die Raumfahrtbehörde überstellt. Letztlich bildete der Start von Sputnik den Auftakt zu einem beispiellosen Wettlauf um die Vorherrschaft im Weltraum, markierte aber auch den Beginn der Erforschung des Kosmos mit raumfahrttechnischen Mitteln. Die ohnehin enorm dynamische technologische Entwicklung der 1950er Jahre wurde mit einem neuen Begriff charakterisiert: die Menschheit war ins „Raumfahrtzeitalter“ eingetreten.