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die H-IIA F30 mit ASTRO-H
ASTRO-H in Tsukuba
ChubuSat 3 montiert auf dem Nutzlastadapter
ChubuSat 2 montiert auf dem Nutzlastadapter
„Horyu“ IV montiert auf dem Nutzlastadapter

Mit Spannung erwartete die internationale Gemeinde der Röntgenstrahlen-​Astronomen den Start des japanischen Weltraumteleskops ASTRO-​H. Das früher eigenständige ISAS (Institute of Space and Astronautical Science), nun Teil der 2003 neu formierten japanischen Raumfahrtorganisation JAXA (Japan Aerospace Exploration Agency), blickte auf eine jahrzehntelange Tradition überwiegend erfolgreicher astronomischer Forschungsmissionen zurück. Zuletzt hatte man mit den in den Jahren 2000 und 2005 gestarteten Röntgenteleskopen ASTRO-​E und ASTRO-​E2  aber Pech gehabt. Der erste Satellit ging bei einem Fehlstart verloren, der zweite verlor kurz nach seinem Start den Heliumvorrat zur Kühlung des XRS-​2  Spektrometers. Auch wenn damit sein Hauptinstrument nicht die erwartete Empfindlichkeit erreichte, lieferte dieser Satellit doch bis zum Sommer 2015 wertvolle Daten. Vollkommen neue Bereiche sollte nun das New X-​ray Telescope (NeXT) erschließen. Erstmals wollte man mit einem bildgebenden Spektrometer den Bereich der harten Röntgenstrahlung jenseits der 10 keV erforschen. Aber auch im Energiespektrum darunter erwarteten die beteiligten japanischen, kanadischen, europäischen und US-​Wissenschaftler eine neue Qualität der Daten. Die Instrumentierung des Satelliten bestand aus dem Hard X-​ray Telescope (HXT), dem Soft X-​ray Telescope (SXT-​S, SXT-​I), dem Hard X-​ray Imager (HXI), dem von der NASA beigesteuerten Soft X-​ray Spectrometer (SXS), dem Soft X-​ray Imager (SXI) und dem Soft Gamma-​ray Detector (SGD). Mit einer Masse von rund 2,7 Tonnen ließ sich ASTRO-​H im Gegensatz zu seinen Vorgängern nur noch mit einer H-​IIA Rakete starten. Der ursprünglich noch für Ende 2015 geplante Start des Röntgenteleskops verschob sich effektiv auf Februar 2016. Am vorgesehenen Termin 12.02.2016 und an den folgenden Tagen herrschten aber Wetterbedingungen, die einen Start unmöglich machten. Erst am 17.02.2016 hatte sich die Situation ausreichend gebessert. Problemlos beförderte die H-IIA Mod. 202 ihre Fracht auf eine Bahn in 575 km Höhe. In den folgenden Minuten wurden dann auch noch drei mitgeführte japanische Microsatelliten ausgesetzt. Der inzwischen „Hitomi“ getaufte ASTRO-​H Satellit durchlief auch die kritischen ersten Manöver ohne Probleme. Inbesondere das reibungslose Ausfahren des Extendable Optical Bench (EOB) Auslegers sorgte bei Ingenieuren und Wissenschaftlern gleichermaßen für Erleichterung. Auch das Kryosystem erreichte die projektierten Werte und hatte den Detektor bis zum 22.02.2016 auf die geforderten –273,1 °C herabgekühlt. Doch am 26.02.2016 nahm die Entwicklung eine überraschende Wende. An diesem Tag sollten die wissenschaftlichen Beobachtungen aufgenommen werden. Um den Zeitpunkt herum, zu dem die Operationen beginnen sollten, geriet „Hitomi“ in eine heftige Taumelbewegung und der Funkkontakt brach ab. Außerdem registrierte das US Joint Space Operations Center (JSpOC) eine abrupte Bahnänderung und mehrere Trümmer in der Nähe des Satelliten. Obwohl danach noch mehrfach Fragmente von Telemetriedaten empfangen werden konnten, bestand unter diesen Umständen nur wenig Hoffnung auf eine Rettung der Mission. Und das sollte sich auch bestätigen. Die Analyse der JAXA zum Verlust von „Hitomi“ ergab das folgende Szenario. Am 25.03.2016 um 18:22 UTC hatte der Satellit eine Neuausrichtung in der Bahn zur Beobachtung des Quasars Markarian 205 abgeschlossen, als unmittelbar darauf die Trägheits-​Navigationsplattform eine tatsächlich nicht existierende (langsame) Rollbewegung um die Z-​Achse registrierte. Norrmalerweise hätten die Sternensensoren den Fehler bemerken müssen, was aber aus unbekannten Gründen nicht der Fall war. Ab etwa 19:10 UTC steuerten die Reaktions-​Räder von „Hitomi“ gegen die vermeintliche Rotation, versetzten den Satelliten tatsächlich aber erst in einen gefährlichen Spin. Als die Kreisel ihre Sättigung erreicht hatten, wurden sie abgeschaltet und der Sonnensensor hätte den Satelliten in einem Sicherheitsmodus stabilisieren sollen. Die nun zur Ausrichtung aktivierten Lageregelungstriebwerke bezogen aber (entweder wegen eines kurz zuvor durchgeführten fehlerhaften Software-​Updates oder irritiert durch den jüngst ausgefahrenen Mast der optischen Bank) weiterhin falsche Daten und verstärkten nur noch die Rotation, bis am 26.03.2016 die Solarzellenflächen und/oder der Ausleger der Optik in der wilden Taumelbewegung abbrachen.
Bei den drei mitgeführten Microsatelliten handelte es sich um „Horyu“ 4 (AEGIS — Arc Event Generator and Investigation Satellite) sowie „Kinshachi“ 2 (ChubuSat 2) und „Kinshachi“ 3 (ChubuSat 3). Die ursprünglich ebenfalls geplante Mitnahme von acht CubeSats eines namentlich nicht genannten US Kunden wurde kurzfristig aus zeitlichen/organisatorischen Gründen gestrichen. „Horyu“ 4 stammte vom Kyusyu Institute of Technology (KIT) und sollte wie der 2012 gestartete „Horyu“ 2 bekannte und unbekannte Phänomene beim Einsatz von Hochvolt-​Solarzelleninstallationen erforschen. Insbesondere erhoffte sich das Team, Aufnahmen von Hochspannungsüberschlägen gewinnen zu können. Die Daten sollten zukünftigen Satellitenentwicklungen zugute kommen. Die beiden ChubuSats (benannt nach der Chubu Region in Zentral-​Japan) waren gemeinsam von Studenten der Nagoya University und der Daido University entworfen und gebaut worden. „Kinshachi“ 3 sollte Erdaufnahmen anfertigen, mit einem Fokus auf dem Gletscherschwund vor dem Hintergrund des Klimawandels. Auch wollte man versuchen, die Kamera bei der Indentifizierung von „Weltraumschrott“ einzusetzen. An Bord des Satelliten flog außerdem ein AIS (Automatic Identification System) Empfänger zur Lokalisierung von Hochseeschiffen. „Kinshachi“ 2 hingegen hatte zwei neu designte Strahlungs-​Detektoren für Neutronen und den Gammastrahlungs-​Bereich an Bord sowie eine Infrarot-​Kamera. Die Messungen des Satelliten sollten eigentlich jene von „Hitomi“ unterstützen. Bei beiden „Kinshachi“ Satelliten war auch eine Nutzung als Amateurfunk-​Relais vorgesehen.