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Start von „Liberty Bell 7“
Virgil Grissom auf dem Weg zu seiner Redstone-Rakete
die bei Ankunft der Hubschrauber noch aufrecht im Meer treibende „Liberty Bell 7“
der Augenblick, in dem die „Liberty Bell 7“ verlorengegeben werden mußte
der Sikorsky HUS-1 mit der Bordnummer 30 nimmt im letzten Augenblick den entkräfteten „Gus“ Grissom auf
„Gus“ Grissom bei seiner Ankunft auf der USS „Randolph“

Nach einer gründlichen Auswertung des ersten bemannten Mercury Fluges stand im Juli 1961 die Wiederholung an. Geplant war ein vergleichbarer ballistischer Flug, wobei einige Änderungen hinsichtlich der Aufgaben vorgenommen wurden, die der Astronaut auszuführen hatte. Nach den Erfahrungen beim ersten Flug wurde entschieden, den Astronauten in den wenigen Minuten Schwerelosigkeit nicht mit zu vielen Aufgaben zu belasten. Außerdem stammte die eingesetzte Kapsel #11 bereits aus dem zweiten Baulos und verfügte über einige Verbesserungen. So ermöglichte ein großes Fenster eine wesentlich bessere Sicht nach draußen und die Ein– und Ausstiegsluke wurde jetzt mit Sprengbolzen gesichert und konnte so rasch geöffnet werden. Ursprünglich sollten sich die Astronauten durch eine winzige Luke unter der Antennensektion der Kapsel zwängen. Die größere seitliche Einstiegsluke ließ sich nur von außen öffnen, wozu 70 Bolzen gelöst werden mußten. Im Notfall war das natürlich viel zu zeitaufwendig. Beim Flug von Alan Shepard wurde daher bereits eine Variante mit einem Schnellverschluß getestet. Dieser Mechanismus wog aber 31 kg, zu viel für Orbitalmissionen. Die Variante für MR-​4  hatte wieder die 70 Bolzen, die aber an einer Sollbruchstelle mit einer kleiner Sprengladung gekappt werden konnten. Von innen ließ sich das Öffnen über einen mehrfach gesicherten Schalter auslösen und von außen mit einer Reißleine. Weitere Verbesserungen betrafen einige Bordsysteme, die Handsteuerung der Kapsel und den Raumanzug, der nun eine bessere Beweglichkeit garantierte und der über ein Urin-​Reservoir verfügte. Am 15.07.1961 wurde schließlich Virgil Grissom als Pilot für die Mission MR-​4  bestätigt. Er taufte seine Kapsel auf den Namen „Liberty Bell 7“. Am 18. und 19.07.1961 mußte der Start jeweils wegen schlechter Sichtbedingungen aufgrund einer zu dichten Wolkendecke abgesagt werden. Doch am 21.07.1961 waren die Sichtbedingungen ausreichend. Eine letzte Verzögerung ergab sich, als festgestellt wurde, daß einer der 70 Sprengbolzen an der Luke nicht korrekt montiert war. Es wurde jedoch entschieden, daß die restlichen 69 eine ausreichende Sicherheit boten. Der Start der Mercury-​Redstone erfolgte schließlich um 13:21 UTC und die Rakete stieg auf der berechneten Bahn auf. Auch diesmal verliefen alle Manöver nach Plan und nach der Abtrennung von der Kapsel hatte Grissom Gelegenheit, die Handsteuerung zu testen. Im Gegensatz zu Shepard bei MR-​3  durfte er gleichzeitig Manöver um alle drei Achsen ausführen. Die Kapsel reagierte auf alle Eingaben, allerdings machte Grissom etwas zu extensiv Gebrauch von den Kontrollen, so daß der Treibstoffverbrauch unerwartet hoch lag. In den nächsten Minuten widmete er sich flugplangemäß intensiv der Erdbeobachtung. Der Abstieg verlief ereignislos, wenn man davon absieht, daß Grissom im Fallschirm einige Risse entdeckte. Doch die Kapsel wasserte nach 15:37 min sicher im Atlantik in der Nähe der Bergungsflotte. Rasch erreichten Hubschrauber die Kapsel. Während Grissom noch die letzten Werte seiner Instrumente notierte, explodierten unvermittelt die Sprengbolzen an der Luke und Wasser drang in die Kapsel ein. Glücklicherweise hatte Grissom zuvor schon die meisten Verbindungen zwischen Raumanzug und Kapsel getrennt. So konnte er die Kapsel rasch verlassen. Der von der USS „Randolph“ entsandte Bergungshubschrauber, der zu diesem Zeitpunkt nur etwa anderthalb Meter über der Kapsel schwebte und aus dem heraus gerade der Co-​Pilot versucht hatte, die Funkantenne der Kapsel zu kappen, mühte sich nun, die Kapsel aufzunehmen. Als die Trosse eingeklinkt war, lag die „Liberty Bell 7“ bereits tief im Wasser. Dennoch versuchte die Hubschrauberbesatzung eine Bergung. Doch mit dem vollgelaufenen Landedämpfer der Kapsel und dem ins Kapselinnere eindringenden Wasser wog diese rasch eine halbe Tonne mehr, als der Sikorsky HUS-​1  „Seahorse“ an Außenlast tragen konnte. Als die Räder des Hubschraubers bereits die Wasseroberflächer berührten und Warnlichter fallenden Öldruck und eine Überhitzung des Motors signalisierten, mußte der Versuch schweren Herzens abgebrochen werden. Die Trosse wurde ausgeklinkt und die Mercury versank im Meer. Unterdessen bemerkte Grissom, daß immer mehr Wasser in seinen Raumanzug eindrang und ihn gleichfalls unter Wasser zu ziehen drohte. Als er die Kapsel überstürzt verlassen mußte, hatte er nicht daran gedacht das Sauerstoffventil an seinem Raumanzug zu schließen. Hierüber und durch die verrutschte Halskrause drang Wasser ein. Nach knapp 5 min erreichte ihn ein zweiter Hubschrauber, der seine Notlage erkannte und ihn noch rechtzeitig an Bord nehmen konnte.
Insgesamt war der Flug von Grissom erfolgreich verlaufen. Anlaß für Verbesserungen gab es nur im Detail. Besorgnis erregte jedoch der Zwischenfall mit der Luke. Grissom mußte vor einer Untersuchungskommission erscheinen. Die genaue Ursache für das unplanmäßige Öffnen der Luke wurde jedoch nie geklärt. Menschliches Versagen konnte nicht ausgeschlossen werden. Allerdings war Grissom der einzige Astronaut, der die Luke benutzte, ohne eine Handverletzung zu erleiden. Alle nachfolgenden Astronauten zogen sich leichte Blessuren zu, als sie den Öffnungsmechanismus betätigten. Das sprach natürlich für einen technischen Defekt. Vermutet wurden elektrostatische Entladung oder Probleme mit der Reißleine. Möglicherweise hatte diese sich gelöst und beispielsweise am Landedämpfer verfangen. Jedenfalls wurde die Befestigung der Reißleine verbessert. Außerdem wurden die Abläufe bei der Bergung für die Zukunft neu festgelegt und ein verstärktes Wasser-​Rettungs-​Training für die Astronauten angeordnet. Grissom sah sich trotz vieler für ihn sprechender Indizien erheblicher Kritik ausgesetzt. Das NASA Management machte ihn für den Verlust der Kapsel verantwortlich, wie schon bei der Pressekonferenz nach dem Flug deutlich wurde. Und auch in der Öffentlichkeit zweifelten viele seine Professionalität an. Immerhin standen diverse tief in das US Raumfahrtprogramm involvierte Journalisten zu ihm. Seine Reputation konnte auch mit ihrer Hilfe soweit wiederhergestellt werden, daß der als extrem erfahren geltende Testpilot das Kommando über Gemini III (1965) erhielt und mit Apollo 1 (1967) ins All geflogen wäre — jeweils die ersten bemannten Flüge eines neuen Raumschifftyps.
1994 wurde der Versuch unternommen, die „Liberty Bell 7“ zu bergen. Die Kapsel konnte jedoch in dem tiefen Wasser nicht lokalisiert werden. Erst im Mai 1999 hatte eine neue Expedition Erfolg. Die Kapsel wurde aufrecht stehend auf dem Meeresboden entdeckt. Wie die Bilder eines Tauchroboters zeigten, in ausgezeichnetem Zustand. Am 21.07.1999 ging dann ein 14-​jähriger Traum von Expeditionsleiter Curt Newport in Erfüllung, als die Kapsel endlich auf dem Deck des Expeditionsschiffs stand. Die Suche nach der abgesprengten Luke mußte jedoch leider erfolglos aufgegeben werden.
Nach einer aufwendigen Restauration erfolgte ab 2000 die Ausstellung der „Liberty Bell 7“ im „Kansas Cosmosphere and Space Center“, einem der Mit-​Finanziers der Suchexpedition.