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Mir Basisblock gesehen von Sojus T-15 im Jahr 1986
Mir mit Kvant Modul und Sojus-TM 3 im Jahr 1987
Orbitalkomplex Mir in der letzten Konfiguration 1999
Orbitalstation „Mir“ (1986)
die Mir Chroniken

Während die bemannte Raumfahrt der USA nach der „Challenger“ Katastrophe gerade in ihrer tiefsten Krise steckte, legte die Sowjetunion im Februar 1986 den Grundstein für eines ihrer erfolgreichsten Raumfahrtprogramme. Rund zehn Jahre nach Beginn der Entwicklung startete am 19.02.1986 um 21:28 UTC mit einer dreistufigen Proton-​K 8K82 K Rakete von Baikonur das Basismodul des neuen sowjetischen Orbitalkomplexes „Mir“. Drei Tage zuvor hatte der Startversuch noch abgebrochen werden müssen, als bei extrem niedrigen Temperaturen plötzlich keine Telemetriedaten mehr von der Nutzlast empfangen werden konnten. Erstmals wurde beim Entwurf des DOS-​17KS Raumstationsentwurfs vollkommen auf ein modulares Konzept gesetzt. Zwar basierte das Mir Basismodul weitgehend auf den bewährten Saljut 6 und Saljut 7 Raumstationen. Doch zusätzlich zum Kopplungsadapter am Heck wurde die Raumstation mit einem neuen kugelförmigen Modul am Bug ausgerüstet. Dieses verfügte über fünf zusätzliche Andockmöglichkeiten, einen axialen und vier radiale Ports. Ursprünglich war hier die Kopplung von Raumschiffen und Modulen in der Sojus-​Klasse (bis zu 7 Tonnen Gewicht) vorgesehen. Im Verlauf der Mir Mission legten hier aber auch wesentlich größere Forschungsmodule an, bis zur Größe des Mir Basisblocks selbst. Dabei erfolgte das Docking stets in axialer Richtung, wonach die Module mit einem Manipulator zu den seitlichen Ports umgesetzt wurden. Trotz der großen Bedeutung für die Kontinuität des bemannten sowjetischen Raumfahrtprogramms geriet das Mir Projekt schon bald in Verzug. Grund war u.a. das Energija-​Buran Programm, das den größten Teil der finanziellen und personellen Ressourcen in der sowjetischen Raumfahrt band. Anfang 1984 kamen die Arbeiten an der Mir dadurch praktisch zum Stillstand. Erst als im Frühjahr 1984 der Start der Mir pünktlich zum XXVII. Parteitag der KPdSU, der zwei Jahre später stattfinden sollte, gefordert wurde, setzte dies auch wieder Kapazitäten für das Programm frei. Dennoch konnte der Rückstand nicht mehr aufgeholt werden. Der neuentwickelte digitale Bordcomputer Saljut 5 B wurde nicht rechtzeitig fertig. Also wurde entschieden, diesen später nachzurüsten und die Mir stattdessen mit dem alten analogen Argon Computer zu starten. Die komplexe Verkabelung der Raumstation trieb die Masse über das Limit, das die (mit leistungsgesteigerten Triebwerken versehene) Proton Rakete auf die geplante 65° Bahn transportieren konnte. Selbst wenn man die wissenschaftliche Ausrüstung auf das absolute Minimum reduzierte. Also kehrte man zu der alten Bahnneigung von 51,6° aus dem Saljut-​Programm zurück, auch wenn das die Erderkundung über sowjetischem Territorium einschränkte. Anfang Mai 1985 traf die halbfertige Raumstation in Baikonur ein. Sollte der Starttermin eingehalten werden, mußten die Arbeiten hier fortgesetzt werden. Fast die Hälfte der Verkabelung mußte vor Ort nachgebessert werden. Doch knapp eine Woche vor dem Beginn des XXVII. Parteitages der KPdSU (25.02.1986) befand sich die Mir im Erdorbit — die gesetzte Frist war eingehalten worden!
Im Laufe der Jahre wurde ausgehend vom Mir Basismodul ein echter Orbitalkomplex aufgebaut. Die Module Quant, Quant-​1 , Kristall, Spektr und Priroda erweiterten die Möglichkeiten des Raumkomplexes enorm. Ein neuer zusätzlicher Kopplungsadapter erleichterte das Docking mit dem amerikanischen Space Shuttle. Denn nach dem Ende des Kalten Krieges profitierte auch die NASA von den Möglichkeiten, die ihnen dieser kosmische Außenposten bot. Erstmals seit den 1970er Jahren sammelten amerikanische Astronauten wieder Erfahrungen bei Langzeit­weltraum­aufenthalten. Insgesamt lebten und forschten innerhalb von 15 Jahren mehr als 100 Menschen an Bord der Mir. Kritische Situationen blieben dabei nicht aus. Die ursprünglich für einen Betrieb von sieben Jahren konzipierte Raumstation zeigte nach einem Einsatz über fünfzehn Jahre deutliche Alterungserscheinungen. Viele Systeme waren verschlissen und wurden durch Provisorien ersetzt. Zusammenstöße mit Frachtschiffen, Zusammenbrüche der Energieversorgung und sogar ein Feuer an Bord beherrschten in den letzten Jahren die Schlagzeilen. Dennoch wurde noch immer wertvolle Forschungsarbeit an Bord geleistet. Viele einmalige Experimente lieferten außerordentliche Ergebnisse. Daher ging ein Aufschrei um die Welt, als das Ende der Operationen an Bord der Mir verkündet wurde. Vor allem viele Russen sahen in der Mir ein Symbol der einstigen Größe der Sowjetunion. Versuche, die Mir mit privaten Mitteln und Touristenflügen zu retten, scheiterten aber dennoch. Auch unter dem Druck der USA, den vertraglichen Pflichten für den Aufbau der neuen Internationen Raumstation gerecht zu werden, entschied sich die russische Raumfahrtagentur gegen einen Weiterbetrieb. Letztmalig startete am 04.04.2000 eine neue Besatzung zur Mir. Im März 2001, wenige Tage nach ihrem 15. Geburtstag, wurde dann das Ende eingeleitet. Ein Progress Raumtransporter bugsierte den 140 Tonnen Raumkomplex allmählich aus dem Orbit. Drei Triebwerksimpulse sorgten schließlich für den gezielten Wiedereintritt über dem Pazifik. Mit einer wahren Glanzleistung war es dem Flugleitzentrum gelungen, exakt den vorberechneten Eintrittskorridor zu treffen. Am 23.03.2001 gegen 05:57 UTC stürzten die nicht verglühten Trümmer des Orbitalkomplexes in der Nähe der Fidschi-​Inseln ins Meer. Eine Ära der bemannten Raumfahrt war zu Ende gegangen…