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Start von Sojus TM-30
Blick in die vollgestopfte Mir
Sergej Saljotin an Bord der Mir

Angesichts der schweren politischen und wirtschaftlichen Krise, in der sich Rußland Ende der 1990er Jahre befand, geriet auch ein nationales Prestigeobjekt wie die Raumstation Mir in Gefahr, aufgegeben werden zu müssen. Die gesamte Raumfahrtindustrie suchte ihr Heil in der Kooperation mit westlichen Partnern. Für die Mir schien sich ein Ausweg in Gestalt zahlungskräftiger Touristen zu bieten, die bereit waren, Dollarbeträge in zweistelliger Millionenhöhe für einen einwöchigen Aufenthalt auf der altersschwachen Raumstation zu zahlen. Rußlands Raumfahrtbehörde hingegen konnte nur mit Mühe seine finanziellen Verpflichtungen beim Aufbau der neuen internationalen Raumstation ISS erfüllen und sicherte der NASA zu, alle Mittel und Energie auf dieses Projekt auszurichten. Da die Mir aber noch immer ein nationales Prestigeprojekt war, suchte man fieberhaft nach einer Hintertür, diese doch noch zu erhalten. Also unterzeichneten RKK Energija (inzwischen formal Eigentümer der Station) und die MirCorp am 17.02.2000 ein Abkommen über die Vermietung der Raumstation. Bereits die nächste bemannte Mission zur Mir wurde von den beiden Unternehmen privat finanziert mit dem Ziel, den Umfang der Arbeiten zu bestimmen, der nötig war, die Mir als Ziel bemannter Touristenflüge herzurichten. Am 24.03.2000 wurden eine Reihe von kritischen Bordsystemen der Mir wieder hochgefahren und der Bordcomputer übernahm mit Hilfe der Gyroskope die Stabilisierung der Station. Die Startkommission hatte daher keine Einwände gegen eine zunächst auf 45 Tage begrenzte bemannte Mission zur Mir. Ursprünglich war eine dreiköpfige Mannschaft für dieses Unternehmen vorgesehen. Neben den beiden Berufskosmonauten Sergej Saljotin (Kommandant) und Alexander Kaleri (Bordingenieur) sollte der Schauspieler Wladimir Steklow mitfliegen. Dieser wollte an Bord der Raumstation Teile des Films „Die letzte Reise“ drehen, einer fiktiven Geschichte über einen Kosmonauten, der die Mir unter keinen Umständen verlassen will. Doch die Produktionsfirma konnte offenbar die geforderten 10 Mio. $ für den Mitflug nicht aufbringen. Dennoch war der Schauspieler in Baikonur zur Stelle, als seine Kollegen am 04.04.2000 um 05:01 UTC von dort ins All starteten. Eine Sojus-​U 11A511U brachte das Sojus TM-​30  Raumschiff auf die vorgesehene Bahn, von der aus es sich in den nächsten Tagen allmählich an die Raumstation annäherte. Am 06.04.2000 um 06:31 UTC dockte das Raumschiff, auf den letzten Metern manuell gesteuert, schließlich planmäßig am Bug der Mir an. Vor den Kosmonauten lag in den nächsten Tagen viel Arbeit, war die Mir doch mehr als ein halbes Jahr unbemannt geflogen. Unzählige Systeme mußten überprüft und zum Teil wieder aktiviert werden. Eine der ersten Handlungen war aber, die Atmosphäre aus den Atemluftvorräten der Station zu ergänzen, war doch der Luftdruck in den vergangenen Monaten spürbar abgesunken. Auch der „Elektron“ Sauerstoffgenerator mußte wieder zum Laufen gebracht werden, wie auch eine Reihe weiterer Teile des Lebenserhaltungssystems einer Wartung bedurften. Vorläufig mußten auch Lithiumperchlorat-​Container zum Auffrischen der Atemluft eingesetzt werden. Auch deshalb, weil der Luftdruck in der Station permanent weiter sank. Es dauerte einige Tage, bis ein undichtes Ventil in der Schleusensektion zum enthermetisierten „Spektr“ Modul als Ursache entdeckt und versiegelt werden konnte. Die Kosmonauten widmeten sich weiter der Bestandsaufnahme der Situation an Bord der Mir und betrieben auch mit den vorhandenen Systemen einige wissenschaftliche Forschungen. Praktischen Nutzen hatte auch die Erderkundung, so z.B. der Hochwasser-​Überflutungsgebiete in Ungarn, Rumänien und Polen.
Die schließlich auf 73 Tage verlängerte Mission von Sojus TM-​30  ergab letztendlich, daß die Mir zwar etwas altersschwach und zahlreiche ihrer Systeme verschlissen waren. Insgesamt war ein weiterer bemannter Betrieb aber durchaus vorstellbar. Jedoch würden die Betriebskosten wegen des zunehmenden Wartungsaufwands eher zunehmen. Und wie sich herausstellte, waren sowohl RKK Energija als auch die MirCorp überoptimistisch gewesen, was die kommerzielle Vermarktung der Mir betraf. Juri Semjonow, Präsident von RKK Energija, sprach zwar davon, daß der Weiterbetrieb für fünf Jahre dank der Investitionen der MirCorp nun sichergestellt sei, doch tatsächlich reichten die Finanzmittel nicht einmal aus, die Mir betriebsbereit zu halten, bis die nächsten Weltraumtouristen ausgebildet waren. Und so blieb die 39. bemannte Expedition zur Mir zugleich die letzte.