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die Ariane-5G mit ENVISAT
ENVISAT bei der Startvorbereitung im Gebäude S5
Waldbrände in Kalifornien aufgenommen von ENVISAT

Einen neuen großen Erderkundungssatelliten, der in der Tradition der bewährten SPOT und ERS Baureihen stand, startete am 01.03.2002 eine Ariane-5G vom südamerikanischen Kourou. Ursprünglich war ENVISAT (Environmental Satellite) als autonomes Modul der Internationalen Raumstation konzipiert worden. Schließlich wurde das Projekt der Polaren Plattform aber doch als konventioneller Satellit realisiert, der auf einer sonnensynchronen Bahn operierte. Ausgehend vom SPOT 4 Servicemodul und dem Instrumentenmodul des ERS Satelliten wurde ein neues modulares Raumfahrzeug konzipiert, das in seinen Abmessungen gerade noch in der langen 17 m Nutzlastverkleidung der Ariane 5 transportiert werden konnte. Die Instrumentierung von ENVISAT deckte das komplette elektromagnetische Spektrum vom Mikrowellenbereich bis zum UV-​Bereich ab. ASAR (Advanced Along Track Scanning Radiometer), ein hochauflösendes abbildendes Radar, lieferte kontinuierlich Aufnahmen der Land– und Meeresoberflächen. MERIS (Medium Resolution Imaging Spectrometer) dokumentierte die Wolkenbildung, ermittelte die Luftfeuchtigkeit der Atmosphäre, bestimmte den biologischen Zustand sowie den Verschmutzungsgrad der Meere und insbesondere der Küstengewässer sowie die Wachstumsphasen verschiedener Pflanzen. GOMOS (Global Ozone Monitoring by Occultation of Stars) lieferte u.a. Daten zur vertikalen Verteilung von Wasserdampf, Ozon und anderen Spurengasen im Höhenbereich zwischen 20 und 100 km. MIPAS (Michelson Interferometer for Passive Atmospheric Sounding) arbeitete im IR-​Bereich und untersuchte die Atmosphäre auf mehr als 20 verschiedene klimarelevante Spurengase. Das Instrument lieferte ferner Temperaturprofile und konnte selbst die Herkunft von Industrieabgasen bestimmen. AATSR (Advanced Along Track Scanning Radiometer) vermaß die Wärmeabstrahlung der Erde im infraroten und sichtbaren Bereich mit einer Genauigkeit von 0,3 °C. Das ermöglichte u.a. Vegetationsstudien, die Ermittlung der Eisbedeckung und die Erkennung von Waldbränden. Mit dem MWR (Microwave Radiometer) konnten beispielsweise der Wasserdampfgehalt der Atmosphäre, der Anteil des flüssigen Wassers in Wolken und die Flughöhe des Satelliten bestimmte werden. Das SCIAMACHY (Scanning Imaging Absorption Spectrometer for Atmospheric Chartography) diente wiederum der Bestimmung der Verteilung von Spurengasen und Aerosolen in der Atmosphäre, konnte aber auch die Wolkenausbildung, –höhen und –bedeckungen erkunden. Schließlich dienten das RA 2 (Radar Altimeter 2 ), das DORIS Experiment (Doppler Orbitography and Radio-​positioning Integrated by Satellite) und der Laser Retro-​Reflector LRR der exakten Bahnbestimmung von ENVISAT (4,5 cm bei 800 km Bahnhöhe). Zudem konnten mit den Instrumenten die Wellenhöhe, Windparameter und Abweichungen des Schwerkraftfeldes vermessen werden. Die zehn Experimente von ENVISAT machten die erste Anwendung der Polaren Plattform zu einem der komplexesten jemals gestarteten Umweltsatelliten. Obwohl die Ariane am 28.02.2002 nach einem nächtlichen Unwetter zur Überprüfung wieder ins Montagegebäude zurückgerollt werden mußte, konnte der Countdown pünktlich wieder aufgenommen werden. Der erste Start einer Ariane 5 in nördlicher Richtung gelang mit unglaublicher Präzision. Die Bahnabweichung betrug nur zwanzig Meter! Innerhalb eines Monats konnten alle Instrumente von ENVISAT aktiviert und der Routinebetrieb aufgenommen werden. Dabei wurde die wissenschaftliche Ausbeute noch dadurch erhöht, daß die Messungen anfangs im Tandem mit den Instrumenten des älteren ERS 2 Satelliten erfolgen konnten. Über ein Jahrzehnt lieferte ENVISAT eine Fülle an äußerst wertvollen Erderkundungsdaten. Am 08.04.2012, wenige Tage nach dem zehnten Jahrestag seines Starts, brach jedoch plötzlich der Datenempfang ab und konnte nicht wieder hergestellt werden. Mittels anderer Erderkundungssatelliten und bodengestütztem Radar ließ sich verifizieren, daß der Satellit sich weiterhin stabil auf seiner Bahn bewegte. Antennen und Solarzellenausleger waren, soweit erkennbar, korrekt orientiert. Die wenigen verfügbaren Daten ließen lediglich den Schluß zu, daß es zu einem massiven Ausfall in der Energieversorgung oder am Bordcomputer gekommen sein mußte. Hoffnung auf eine Reaktivierung von ENVISAT bestand somit kaum noch. Entsprechende Bemühungen wurden daher bald eingestellt. Trotz des großen Erfolges erhielt ENVISAT keinen direkten Nachfolger. Einige seiner Instrumente bzw. Weiterentwicklungen davon flogen aber auf einer Vielzahl von Erderkundungs– und Umweltforschungssatelliten.
Bis Ende 2015 erinnerte ein 1:1 Modell von ENVISAT vor dem Space Expo Gelände des ESTEC in Noordwijk an den größten jemals gebauten Umweltsatelliten. Als die Standsicherheit des bereits im Juli 1999, also noch vor dem Start des echten ENVISAT, aufgebauten Modells nicht mehr gegeben war, wurde es im Dezember 2015 abgerissen. Der echte ENVISAT hingegen wurde als Ziel der e.Deorbit Mission ausgewählt, bei der Technologien zur Entfernung ausgefallener Satelliten aus dem Orbit erprobt werden sollten.