…kam am 30.06.(17.06.)1914 im damals zum russischen Reich (Kongreßpolen) gehörenden Siedlce zur Welt. Seine Eltern waren ukrainischstämmige Lehrer. Nach Ausbruch des 1. Weltkriegs flüchtete die Familie ins ukrainische Poltawa. 1926 folgte ein Umzug nach Kiew. Der begabte Schüler Tschelomej nahm 1932 ein Studium am Polytechnischen Institut von Kiew auf, wo seine mathematische Begabung schon bald erkannt und gefördert wurde. 1937 schloß er sein Studium mit Auszeichnung ab und wechselte an die ukrainische Akademie der Wissenschaften. Zwei Jahre später wurde er dort zum Kandidat der Wissenschaften ernannt. Nach einer wissenschaftlichen Tätigkeit am Institut für angewandte Mathematik der Akademie wechselte Tschelomej 1941 ans Moskauer Zentralinstitut für Flugmotoren (ZIAM). Dort war er zunächst als Dozent für Mechanik und Luftfahrtantriebstheorie tätig, bevor er 1942, nach seiner Dissertation, zum Leiter der Abteilung für Düsentriebwerke berufen wurde. In dieser Funktion forschte Tschelomej u.a. an Pulsstrahltriebwerken, wie sie zeitgleich in Deutschland als Antrieb für die Fieseler Fi-103 (V-1) untersucht wurden. Allerdings verliefen die Arbeiten Tschelomejs zunächst wenig erfolgreich. Erst als ihm im Sommer 1944 die weitgehend unversehrten Überreste einer deutschen Fi-103 zugänglich gemacht wurden, kam der Durchbruch. Dem Verantwortlichen für Flugzeugbau im Staatlichen Verteidigungskomitee, Georgi M. Malenkow, sagte er den schnellstmöglichen Nachbau der Flügelrakete zu. Daraufhin wurde ihm die Leitung des Flugzeugwerks No. 51 übertragen, wo zu jener Zeit die Produktion des Jagdflugzeugs Jak-9TD lief. Zur Serienreife gelangte die Entwicklung 10X aber nicht. Das Militär war mit den Leistungen der Waffe nicht zufrieden, insbesondere die Reichweite, Geschwindigkeit und Zielgenauigkeit wurden kritisiert. Tatsächlich mangelte es aber vor allem auch an geeigneten Trägerflugzeugen für den geplanten Luftstart. Im Februar 1953 kam das vorläufige Aus für Tschelomejs Ambitionen. Er wurde als Betrüger hingestellt, der die Berichte über die Erprobung seiner letzten Entwicklung, Erzeugnis 16Ch, geschönt hatte. Hinter der Intrige standen die einflußreichen sowjetischen Politiker Lawrenti Beria und Anastas H. Mikojan. Sie verhalfen derart dem OKB-155 zu einer Führungsrolle bei der Entwicklung von Marschflugkörpern. Dieses OKB stand unter Leitung von Mikojans Bruder Artjom und war Arbeitgeber von Berijas Sohn Sergej! Das Werk No. 51 wurde hingegen dem KB Suchoj angeschlossen. Tschelomej zog sich auf seine Professur an der Moskauer Baumann Universität zurück. Nach dem Tod Stalins und der Entmachtung zahlreicher ihm nahestehender Persönlichkeiten konnte auch Tschelomej seine Flügelraketen-Studien wieder aufnehmen. Es gelang ihm, die sowjetische Marine für die Idee zu interessieren, Marschflugkörper auf Über– und Unterwasserschiffen zu stationieren. Das entscheidende Novum bestand darin, diese mit beigeklappten Flügeln in versiegelten Röhren unterzubringen. Zur Realisierung dieses Konzepts übertrug man Tschelomej 1955 das neugegründete OKB-52 in Reutow bei Moskau. Bis heute zählen die Marschflugkörper aus der damals begonnenen Entwicklungslinie zu den modernsten der Welt. Tschelomej gewann nun rasch an Einfluß. 1959 wurde er erstmals mit dem Titel „Held der Sozialistischen Arbeit“ ausgezeichnet. Ohne Auftrag arbeitete Tschelomej unterdessen ein weitreichendes Raumfahrtprogramm aus. Raketoplane, radargestützte Aufklärungssatelliten, Jagdsatelliten u.a.m. stellte er 1960 dem sowjetischen Staats– und Parteichef Nikita S. Chruschtschow, dessen Sohn Sergej seit 1958 bei Tschelomej arbeitete, vor. Genehmigt wurde ihm jedoch lediglich die Entwicklung seiner ersten Rakete, der UR-200 . Dazu übertrug man ihm das bis dahin von Wladimir M. Mjassischtschew geführte OKB-23 und die zugehörige Produktionsstätte in Fili bei Moskau. In Baikonur entstanden an der linken Flanke des Kosmodroms gewaltige Montage– und Startanlagen sowie eine eigene Wohnstadt. Zwar blieb der UR-200 der Erfolg versagt. Doch mit der folgenden UR-100 stellte Tschelomej einen neuen Entwurf vor, der tatsächlich bis heute überdauert hat. Und Tschelomej blieb fortan dem Baukastenprinzip treu, wie auch dem Einsatz von lagerfähigen Treibstoffen und Triebwerken aus dem OKB-456 von Valentin P. Gluschko. Das nächste Großprojekt war die Entwicklung der UR-500 , die zunächst als Träger für einen themonuklearen Sprengkopf mit der unvorstellbaren Sprengkraft von 100 Megatonnen vorgesehen war. Bald schon fand ihr Konzept aber Eingang in das sowjetische Raumfahrtprogramm. Die anfängliche Unzuverlässigkeit der Rakete trug leider zum Scheitern des sowjetischen bemannten Mondprogramms bei. Und der UR-700 Entwurf konnte sich nicht gegen die N1-L3-11A52 von Sergej P. Koroljow durchsetzen. Weitere wegweisende Entwürfe wie das universelle Transport– und Versorgungsraumschiff TKS und die Raumstation OPS „Almas“ entstanden unter Tschelomejs Regie. Doch mit dem Sturz Chruschtschows verlor er ab Mitte der 1960er Jahre an Einfluß. Das TKS Programm kam über einige Erprobungsflüge innerhalb der Kosmos Serie nicht hinaus und die erste Raumstation wurde offiziell als eine Entwicklung von Koroljows OKB-1 deklariert. Dabei war Tschelomej gezwungen worden, mehrere mehr oder weniger fertiggestellte Zellen seines Raumstationsentwurfs an das OKB-1 zu übergeben. Dort rüstete man sie um und startete sie als DOS „Saljut“. Ebenso mußte das Raketoplan (Raumfähren) Programm eingestellt werden. Nur wenige Projekte Tschelomejs wurden umgesetzt, zeigten aber das Potential, das in ihnen steckte. Noch heute basieren die zentralen russischen Raumstationsmodule der ISS auf Tschelomejs Entwürfen und seine UR-500 K zählt als „Proton“ zu den zuverlässigsten schweren Trägerraketen der Welt. Bereits Ende der 1970er Jahre zerfiel das Imperium Tschelomejs allmählich wieder. Das OKB-23 wurde als KB „Saljut“ ausgegliedert. Seit 1964 trug das OKB-52 den Namen ZKBM (dt. svw. Zentrales Konstruktionsbüro für Maschinenbau). Im Oktober 1983 ging Tschelomej in den Ruhestand. Sein Konstruktionsbüro trug nun den Namen NPO Maschinostroenija (НПО Mашиностроения). Am 08.12.1984 starb Wladimir N. Tschelomej in einem Moskauer Krankenhaus an den Folgen eines Unfalls. Sein bedeutender Beitrag für die sowjetische Raumfahrt und Verteidigungsindustrie wurde mit einer Reihe der höchsten staatlichen Auszeichnungen gewürdigt. So war Tschelomej Träger des Titels „Held der sozialistischen Arbeit“ (2-fach), des Staatspreises der Sowjetunion (3-fach), des Lenin Preises, des Leninordens (5-fach) u.a.m. Bereits seit 1958 war Tschelomej korrespondierendes Mitglied der sowjetischen Akademie der Wissenschaften. 1962 wurde er Vollmitglied. Seine tatsächliche Bedeutung für das sowjetische Raumfahrtprogramm wurde aber erst in den Jahren nach seinem Tod deutlich.